Es lassen sich sich drei (bzw. vier) Arten der Behandlung von
Überhangmandaten unterscheiden:
- Abziehen der Überhangmandate von den anderen Parteien
(Kompensatorisch)
Beispiel: Österreich
Nationalratswahlen,
Schottische Parlament,
geplante System in Großbritannien
Eigenschaft: Verstärkung der Proporzverzerrenden Wirkung,
unveränderte Gesamtmandatzahl des Parlaments.
- Bestehen lassen des Überhangs
(z.B. Landtag NRW bis 1965)
Erhöhung des Gesamtmandatszahl. Proporzverzerrung.
- Zusätzliche Ausgleichsmandate
(die meisten Landtagswahlsysteme, z.B. NRW)
Verstärkte Erhöhung der Gesamtmandatszahl. Keine (reduzierte)
Proporzverzerrung.
- Nichtzuteilung (Streichen) von Überhangmandaten
In diesem Fall entstehen per Definition gar keine Überhangmandate.
Die Nichtzuteilung galt zeitweise in Bayern.
Diese Behandlungsmöglichkeiten werden teilweise
alle in verschiedenen Kombinationen angewandt.
So können Ausgleichsmandate verteilt werden, deren Anzahl
aber beschränkt ist (z.B. auf die Anzahl der Überhangmandate).
Dabei ist die erste Methode für eine überhängende Partei am
günstigsten, die letzte am ungünstigsten.
Bei Kombination der Behandlungsmöglichkeiten sollte allerdings
darauf geachtet werden, ob diese sinnvoll ist. So werden in
Sachsen-Anhalt Ausgleichsmandate verteilt (Methode 3), es
sei denn die überhängende Partei erhält weniger als 5 Prozent
der Parteistimmen, dann werden den anderen Parteien Sitze abgezogen
(Methode 1).
Dies führt dazu, daß die SPD bei der letzten Wahl 1998 wesentlich
besser dastünde, wenn sie weniger als 5% der Parteistimmen bekommen
hätte.
Auswirkung der unterschiedlichen Behandlung von Überhangmandaten
Beispiele zur Auswirkung der unterschiedlichen Behandlung von Überhangmandaten
Parteien |
Stimmen |
Proporz-
sitze |
Direkt-
mandate |
Überhang-
mandate |
| | |
Abzug von
"Normal" |
Abzug |
| |
Bestehen
lassen |
| |
Ausgleich |
Ausgleichs-
mandate |
Nationalisten |
39.497 |
4 |
2 |
- |
| |
4 |
|
| |
4 |
| |
6 |
2 |
Arbeitspartei |
37.605 |
4 |
1 |
- |
| |
3 |
-1 |
| |
4 |
| |
5 |
1 |
Liberale |
31.655 |
3 |
5 |
2 |
| |
5 |
|
| |
5 |
| |
5 |
- |
Konservative |
26.989 |
2 |
|
- |
| |
2 |
|
| |
2 |
| |
4 |
2 |
Grüne |
13.935 |
1 |
|
- |
| |
1 |
|
| |
1 |
| |
2 |
1 |
Sozialisten |
9.000 |
1 |
|
- |
| |
- |
-1 |
| |
1 |
| |
1 |
- |
SUMME |
158.681 |
15 |
8 |
2 |
| |
15 |
-2 |
| |
17 |
| |
23 |
6 |
|
|
|
|
|
| |
|
|
| |
|
| |
|
|
Stimmen pro Sitz |
|
9000 |
|
|
| | |
9402 |
|
| | |
9000 |
| | |
6330 |
|
Im gewählten Beispiel gewinnt die Liberale Partei 5 Direktmandate und
damit 2 Überhangmandate. Es seien 15 Normalmandate zu verteilen.
Die Proporzmandate werden nach Divisorverfahren mit Abrunden
(D'Hondt) verteilt.
- Abzug von den anderen Parteien:
Wenn den anderen Parteien diese Überhangmandate abgezogen werden,
erhalten in diesem Fall die Sozialisten und die Arbeitspartei
je einen Sitz abgezogen. Die Gesamtsitzzahl bliebe damit bei 15,
die Proportionalität würde sich reduzieren, jede Partei bräuchte 9402 Stimmen pro Sitz,
nur bei den Liberalen wäre das Verhältnis Stimmen pro Sitz 6330.
- Überhang ohne Ausgleich bestehen lassen:
Die Liberalen behalten ihre Überhangmandate, die anderen Parteien behalten ihre
Proporzmandate. Die Proportionalität wäre etwas höher, die Gesamtmandatszahl würde
sich über das Soll von 15 um die beiden Überhangmandate auf 17 erhöhen.
Für 9000 Stimmen gibt es einen Sitz, nur bei den Liberalen wäre das Verhältnis Stimmen pro Sitz 6330.
- Ausgleichsmandate:
Für die Überhangmandate werden Ausgleichsmandate gewährt, so daß es für 6330 Stimmen
einen Sitz gibt (Proporz). Die Nationalisten und Konservativen erhielten jeweils 2, die
Arbeitspartei und Grüne jeweils 1 Ausgleichsmandat. Die Gesamtmandatszahl würde sich
um die 6 Ausgleichsmandate und die beiden Überhangmandate von 15 auf 23 erhöhen.
- Nichtzuteilen
Zwei der 5 Direktmandate der Liberalen würden nicht zugeteilt werden.
Die Gesamtmandatszahl würde sich nicht erhöhen, der Proporz wäre gewahrt, für
9000 Stimmen gibt es einen Sitz.
Anmerkung: alles gilt nur für
externe Überhangmandate.
Für interne Überhangmandate wie bei der Bundestagswahl
gelten andere Möglichkeiten.
Die Einführung von Ausgleichsmandaten für interne Überhänge führt
zu weiteren Systemfehlern (Beispiel Baden-Württemberg)
© 2000
Martin Fehndrich