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18.08.2009
Nachdem der Bundeswahlausschuss bei den vergangenen Bundestagswahlen weitgehend unbehelligt von medialem Interesse seiner Arbeit nachgehen konnte (musste), steht er derzeit im ungewohnten Kreuzfeuer der Kritik. Auch der neue Bundeswahlleiter Roderich Egeler, erst seit einem Jahr im Amt, wird bereits öffentlich in Frage gestellt. Anlass der Kritik sind einige umstrittene Entscheidungen des Bundeswahlausschusses in seinen Sitzungen am 17. Juli und 6. August 2009.
In der Sitzung am 17. Juli hatte der Bundeswahlausschuss insgesamt 28 politischen Vereinigungen die Anerkennung als Partei und damit die Teilnahme an der Bundestagswahl verweigert, darunter der PARTEI („Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“) und den Grauen. Die dagegen erhobenen Beschwerden verwarf der Bundeswahlausschuss am 6. August. Außerdem wies er die Beschwerde der Freien Union gegen die Nichtzulassung ihrer bayerischen Landesliste zurück.
Anscheinend an einem kuriosen Missverständnis gescheitert ist die Satiriker-Partei aus dem Umfeld der Zeitschrift Titanic mit derem Ex-Chefredakteur Martin Sonneborn an der Spitze. Hintergrund ist, dass bei der Bundestagswahl – anders als bei der Europawahl und einigen Landtagswahlen – nur solche Vereinigungen Listen einreichen dürfen, die vom Bundeswahlausschuss ausdrücklich als Partei anerkannt sind. Was eine Partei ausmacht, ist im Parteiengesetz definiert:
§ 2 Absatz 1 Satz 1 Parteiengesetz:
„Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten.“
Nachdem die PARTEI ihre Beteiligung an der Bundestagswahl 2009 angezeigt hatte, wurde sie daher vom Bundeswahlleiter Ende Januar 2009 gebeten, unter anderem Angaben zur Gesamtzahl ihrer Mitglieder, zu Zahl und Art ihrer Gebietsverbände und zum Hervortreten in der Öffentlichkeit zu übersenden. Dieser Bitte ist die PARTEI, soweit bisher bekannt, nicht gefolgt. Statt dessen informierte der Justiziar der PARTEI den Bundeswahlleiter am 4. Februar 2009 über eine Änderung der Zusammensetzung des Landesvorstands im Landesverband Nordrhein-Westfalen. Damit kam die PARTEI einer gesetzlichen Verpflichtung nach:
§ 6 Absatz 3 Sätze 1 und 2 Parteiengesetz:
„Der Vorstand hat dem Bundeswahlleiter
1. Satzung und Programm der Partei,
2. Namen der Vorstandsmitglieder der Partei und der Landesverbände mit Angabe ihrer Funktionen,
3. Auflösung der Partei oder eines Landesverbandes
mitzuteilen. Änderungen zu Satz 1 Nr. 1 und 2 sind bis zum 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres anzuzeigen.“
Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs zur Aufforderung, Zahl und Art ihrer Gebietsverbände zu benennen, hat das Büro des Bundeswahlleiters die Mitteilung über die Wahl des NRW-Landesvorstands fälschlicherweise dahingehend interpretiert, dass alle anderen Landesverbände aufgelöst wurden. Dementsprechend hat es die Zahl der Landesverbände der PARTEI in der offiziellen Unterlagensammlung auf einen Landesverband reduziert und hierüber mit Schreiben vom 9. April 2009 die PARTEI informiert. Eine Reaktion der PARTEI erfolgte hierauf nicht – offensichtlich hatte man die Brisanz des Schreibens nicht erkannt.
Nun kann der Bundeswahlleiter aber nicht einfach so Landesverbände einer Partei als aufgelöst ansehen, nur weil diese Partei der einmaligen Bitte nach Auskunft über die aktuelle Zahl der Landesverbände nicht nachgekommen ist. Sofern der Bundeswahlleiter der Auffassung ist, die in der Unterlagensammlung enthaltene Übersicht – die für die PARTEI zuvor sieben Landesverbände auswies – entspreche nicht mehr den aktuellen Tatsachen, so gibt das Parteiengesetz ihm die Möglichkeit, die betroffene Partei durch die Androhung eines Zwangsgeldes zwischen 250 EUR und 1.500 EUR (§ 38 Parteiengesetz) zu einer aktuellen Mitteilung zu verpflichten. Eine Rechtsgrundlage für eigenmächtige Änderungen des Bundeswahlleiters ohne entsprechende Mitteilung der Partei ist hingegen nicht ersichtlich, zumal sich dem Parteiengesetz keine Verpflichtung zur regelmäßigen Information über bereits bestehende und gemeldete Landesverbände entnehmen lässt.
Update (22.08.2009):
Anhand der uns mittlerweile vorliegenden Unterlagen aus der Sammlung des Bundeswahlleiters nach dem Parteiengesetz ergibt sich ein etwas anderes Bild als hier zunächst dargestellt. Wir hatten aufgrund der Aussage des Bundeswahlleiters in der Sitzung des Bundeswahlausschusses am 17. Juli („Zudem verfügen Sie nur noch über einen Landesverband, in Nordrhein Westfalen. Sie hatten vorher mal sieben Landesverbände.“) die Darstellung in der Pressemitteilung des Bundeswahlleiters vom 14. August, wonach „auf Grundlage des Faxes vom 4. Februar 2009 [...] für ‚Die PARTEI‘ nunmehr ein Landesverband geführt“ werde, dahingehend verstanden, dass die Zahl der Landesverbände in der Unterlagensammlung von sieben auf einen reduziert worden sei.
Tatsächlich war in der Unterlagensammlung des Bundeswahlleiters zur PARTEI bis zum 4. Februar 2009 lediglich der Bundesverband, aber kein einziger Landesverband geführt worden. Die PARTEI hatte also anscheinend entgegen ihrer Verpflichtung aus dem Parteiengesetz bis dato keine Angaben zu den Vorstandsmitgliedern ihrer Landesverbände gemacht. Dennoch ging der Bundeswahlleiter in der Sitzung am 17. Juli davon aus, dass die PARTEI zu einem früheren Zeitpunkt sieben Landesverbände gehabt habe, die Angaben in der Unterlagensammlung also unvollständig seien. Von daher bestand für den Bundeswahlleiter auch kein Anlass anzunehmen, die Zahl der Landesverbände hätte sich auf einen einzigen reduziert. Den anderen Ausschussmitgliedern vermittelte er durch seine o. a. Aussage den Eindruck, bei der PARTEI handele es sich um eine mehr oder weniger im Selbstauflösungsprozess befindliche Vereinigung.
In der Sitzung des Bundeswahlausschusses am 17. Juli wurde der anwesende Schatzmeister der PARTEI, Norbert Gravius, dann auch völlig überrumpelt von der Behauptung Egelers, die PARTEI hätte nur noch einen einzigen Landesverband. Zwar zählte Gravius die aktuell neun Landesverbände der PARTEI einzeln auf und machte auch Angaben zur Zahl der Mitglieder (ca. 6.000) und zum Hervortreten in der Öffentlichkeit, doch sein insgesamt fahrig wirkender Auftritt – Gravius war kurzfristig für den Justiziar der PARTEI eingesprungen – hinterließ bei den Ausschussmitgliedern offensichtlich keinen glaubhaften Eindruck. Der Bundeswahlleiter führte seine Beisitzer zusätzlich in die Irre, indem er die – in der Sitzung nicht vorliegende – Mitteilung der PARTEI über die Zusammensetzung des NRW-Landesvorstands als „Übersicht“ bezeichnete. So stand am Ende das einstimmige Votum des Bundeswahlausschusses, die PARTEI nicht als Partei im Sinne des Parteiengesetzes anzuerkennen.
Dennoch reichte die PARTEI zur Bundestagswahl eine Landesliste in Hamburg ein. Hierüber hatte der Hamburger Landeswahlausschuss am 31. Juli zu befinden. Da die Entscheidung des Bundeswahlausschusses vom 17. Juli aber für alle Wahlorgane verbindlich ist (§ 18 Absatz 4 Bundeswahlgesetz), blieb dem Landeswahlausschuss nichts anderes übrig, als die Zulassung der Landesliste zu verweigern. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der PARTEI landete am 6. August nun wiederum beim Bundeswahlausschuss.
Obwohl in einigen Äußerungen der Mitglieder des Bundeswahlausschusses gewisse Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidung in der vorherigen Sitzung durchschimmerten, sah der Ausschuss keine rechtliche Möglichkeit, den Beschluss vom 17. Juli zu revidieren. Das Bundeswahlgesetz sieht gegen die Entscheidung über die Parteieigenschaft einer Gruppierung keine Beschwerdemöglichkeit vor, sondern vertröstet auf das Wahlprüfungsverfahren:
§ 49 Bundeswahlgesetz:
„Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, können nur mit den in diesem Gesetz und in der Bundeswahlordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen sowie im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden.“
Das gesamte Wahlprüfungsverfahren spielt jedoch erst nach der Wahl ab, wenn also das Kind längst in den Brunnen gefallen ist. In erster Instanz entscheidet hierbei zudem der Deutsche Bundestag selbst über die eingegangenen Einsprüche, also praktisch in eigener Sache. Bis mit dem Bundesverfassungsgericht in zweiter Instanz ein unabhängiges Gremium eine Entscheidung fällt, vergehen in der Regel mindestens zwei bis drei Jahre. Da das Gericht selbst bei festgestellten Wahlfehlern meist davor zurückschreckt, eine Neuwahl anzuordnen, bleibt das eigentliche Ziel einer abgelehnten Partei – die Teilnahme an der Bundestagswahl – bis zum nächsten regulären Wahltag in vier Jahren unerreichbar. Ein effektiver Rechtsschutz gegen Fehlentscheidungen des Bundeswahlausschusses besteht also nicht.
Die PARTEI vertritt nun die Auffassung, der Bundeswahlausschuss habe sehr wohl die Möglichkeit, seine eigene Entscheidung zu korrigieren. Auch wenn dies nicht ausdrücklich in Bundeswahlgesetz oder Bundeswahlordnung geregelt ist, spricht viel dafür, dem Bundeswahlausschuss dieses Recht zuzusprechen. Ihm ist dabei aber durch § 18 Absatz 4 Bundeswahlgesetz eine zeitliche Grenze gesetzt: „Der Bundeswahlausschuss stellt spätestens am zweiundsiebzigsten Tage vor der Wahl für alle Wahlorgane verbindlich fest, [...] welche Vereinigungen [...] für die Wahl als Parteien anzuerkennen sind.“ Dieser 72. Tag vor der Wahl war der 17. Juli und damit genau der Tag, an dem der Ausschuss über die Parteieigenschaft der PARTEI und der anderen Vereinigungen entschieden hat.
Unter diesen Umständen ist absolut unverständlich, warum der Bundeswahlausschuss erst am allerletzten Tag der gesetzlichen Frist erstmals zusammentritt, um im Schweinsgalopp über fast fünfzig Beteiligungsanzeigen von politischen Vereinigungen zu verhandeln und zu entscheiden. Die Beteiligungsanzeigen waren spätestens am 29. Juni einzureichen; die meisten Gruppierungen hatten dies bereits deutlich früher getan – die PARTEI beispielsweise fast ein halbes Jahr vor Fristende. Der Bundeswahlausschuss hätte alle Zeit der Welt gehabt, in einer ersten Sitzung vor dem 17. Juli die eindeutigen Fälle zu entscheiden, die Zweifelsfälle hingegen auf eine zweite und ggf. dritte Sitzung zu vertagen, um den betroffenen Vereinigungen Gelegenheit zur Aufklärung zu geben und um ggf. die erst kurz vor Fristende eingegangenen Beteiligungsanzeigen näher zu prüfen. Nirgends in Bundeswahlgesetz oder Bundeswahlordnung wird dem Bundeswahlausschuss vorgeschrieben, sämtliche Beteiligungsanzeigen in einer einzigen Sitzung zu behandeln, diese Sitzung dann auch noch ausgerechnet am letztmöglichen Tag abzuhalten und sich so jede Korrekturmöglichkeit selbst zu nehmen.
Dass dem Bundeswahlausschuss somit nichts anderes übrig blieb, als die Beschwerde der PARTEI am 6. August zurückzuweisen, hat er sich selbst und nicht den gesetzlichen Grundlagen zuzuschreiben.
Auch den Grauen verweigerte der Bundeswahlausschuss am 17. Juli die Anerkennung als Partei. Die Grauen waren 2008 gezwungen, sich neu zu gründen, nachdem die (fast) gleichnamige Vorgängerpartei aufgrund einer Spendenaffäre insolvent wurde. Bei der Gründungsversammlung waren laut dem Protokoll, das dem Bundeswahlausschuss vorlag, lediglich neun Personen anwesend. Da dem Ausschuss keine weiteren Informationen vorlagen und kein Vertreter der Grauen bei der Sitzung anwesend war, hielt der Bundeswahlausschuss die Grauen für eine Partei mit verschwindend geringer Mitgliedschaft und sah sich einstimmig außer Stande, den Grauen die Parteieigenschaft anzuerkennen.
Hiergegen erhoben die Grauen Antrag auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht, der von der 3. Kammer des 2. Senats mit Beschluss vom 31. Juli unter Hinweis auf das Wahlprüfungsverfahren zurückgewiesen wurde. Auch die Beschwerde beim Bundeswahlausschuss gegen die Nichtzulassung der Berliner Landesliste der Grauen wurde – mit gleicher Begründung wie bei der PARTEI – zurückgewiesen. Da nützte es auch nichts, dass die Grauen darauf hinwiesen, am 3. April 2009 den Bundeswahlleiter (angeblich) über die Zahl ihrer Mitglieder informiert zu haben, bei der Europawahl 2009 die notwendigen 4.000 Unterstützungsunterschriften gesammelt und immerhin 57.000 Stimmen erhalten zu haben sowie trotz 3 %-Hürde in acht Berliner Bezirksversammlungen (dank ihrer Vorgängerpartei) vertreten zu sein.
Update (22.08.2009):
Laut Angaben des Büros des Bundeswahlleiters sei das von den Grauen behauptete Schreiben vom 3. April mit Angaben über Mitgliederzahlen dort bis der Sitzung am 17. Juli nicht eingegangen.
Das Büro des Bundeswahlleiters legt außerdem Wert auf die Feststellung, dass alle Vereinigungen, die zur ersten Sitzung des Bundeswahlausschusses eingeladen wurden, vom Bundeswahlleiter schriftlich per Einschreiben mit Rückschein gebeten worden seien, umfassende Angaben u. a. über Art und Umfang ihrer Organisation, Zahl der Landesverbände, Mitgliederzahlen usw. zu erbringen oder/und diese ggf. persönlich vor dem Bundeswahlausschuss zu erläutern. In den Schreiben sei zudem auf die bevorstehende, verbindliche Entscheidung des Bundeswahlausschusses am 17. Juli 2009 betreffend die Anerkennung als Partei für die Wahl zum 17. Deutschen Bundestag hingewiesen worden.
Während der Bundeswahlausschuss seine Entscheidungen gegen die PARTEI und die Grauen einstimmig fällte, kam es im Falle der Freien Union zu einer ungewöhnlichen Pattsituation: Die Beisitzer Johannes Risse, Cornelie Sonntag-Wolgast (beide SPD), Hartmut Geil (GRÜNE) und Ruth Kampa (DIE LINKE) stimmten für die Zulassung der bayrischen Landesliste, wohingegen Axel Tantzen (CDU), Markus Zorzi (CSU), Gabriele Renatus (FDP) und Bundeswahlleiter Roderich Egeler gegen die Zulassung stimmten. Da der zweite CDU-Beisitzer, Lutz Stroppe, der Sitzung fernblieb, lautete das Ergebnis somit 4:4. Bei Stimmengleichheit, so sieht es § 10 Absatz 1 Satz 2 Bundeswahlgesetz vor, entscheidet die Stimme des Vorsitzenden, also die des Bundeswahlleiters. Somit war die Beschwerde der Freien Union abgelehnt.
Anders als bei der PARTEI und den Grauen hatte der Bundeswahlausschuss aber in seiner vorherigen Sitzung am 17. Juli die Parteieigenschaft der Freien Union anerkannt. Die notwendige Zahl an Unterstützungsunterschriften für die Einreichung von Landeslisten zu sammeln, gelang ihr dann jedoch nur im Freistaat Bayern, dem Heimat-Bundesland ihrer Vorsitzenden Gabriele Pauli. Einzureichen waren die notwendigen Unterlagen bis zum 23. Juli um 18 Uhr. Erst fünf Minuten vor Fristende, um 17:55 Uhr, wurden sie von Mitgliedern der Freien Union im Büro des bayrischen Landeswahlleiter an dessen Stellvertreter, Werner Kreuzholz, überreicht. Aufgrund von § 25 Absatz 1 in Verbindung mit § 27 Absatz 5 Bundeswahlgesetz hatte dieser die Pflicht, die Landesliste unverzüglich nach Eingang zu prüfen und im Falles eines dabei festgestellten Mangels sofort die Vertrauensperson der Landesliste aufzufordern, behebbare Mängel rechtzeitig zu beseitigen. Tatsächlich fiel ihm rasch auf, dass die Niederschrift über die Mitgliederversammlung zur Aufstellung der Bewerber für die Landesliste nur vom Schriftführer, nicht aber von der Leiterin der Versammlung, Gabriele Pauli, unterschrieben wurde. Hierüber informierte Kreuzholz sogleich die anwesenden Vertreter der Freien Union. Nach telefonischer Rücksprache mit der nicht anwesenden Pauli unterschrieb dann zunächst der Landesvorsitzende der Freien Union, Oliver Schmidl, die Niederschrift mit eigenem Namen in Paulis Auftrag, anschließend die 3. Stellvertretende Landesvorsitzende, Silvia Röder, stellvertretend mit dem Namen „Gabriele Pauli“. Der bayrische Landeswahlausschuss wies die Landesliste in seiner Sitzung am 31. Juli dennoch einstimmig zurück.
Die Rechtslage ist in diesem Fall kompliziert und nicht ganz eindeutig. Die Pflicht, eine Niederschrift über die Mitgliederversammlung einzureichen, in der die Landesliste aufgestellt wurde, ergibt sich aus § 21 Absatz 6 Satz 1 Bundeswahlgesetz. Dass diese Niederschrift auch von der Versammlungsleiterin zu unterschreiben ist, geht allerdings nur aus Anlage 23 zur Bundeswahlordnung hervor. Nach § 39 Absatz 4 Nummer 3 Bundeswahlordnung „soll“ die Niederschrift dem Muster der Anlage 23 entsprechen. „Soll“ bedeutet aber, dass im Ausnahmefall durchaus davon abgewichen werden kann. Der Bundeswahlleiter wies zusätzlich auf eine recht junge Vorschrift im Bundeswahlgesetz hin:
§ 54 Absatz 2 Bundeswahlgesetz:
„Soweit in diesem Gesetz oder in der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Bundeswahlordnung nichts anderes bestimmt ist, müssen vorgeschriebene Erklärungen persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein und bei der zuständigen Stelle im Original vorliegen.“
Dem Wortlaut nach gilt diese Vorschrift aber nur für „vorgeschriebene Erklärungen“. Ob das Versammlungsprotokoll eine „Erklärung“ ist und ob diese Erklärung in Bezug auf die Unterzeichnung der Versammlungsleiterin angesichts der Soll-Vorschrift „vorgeschrieben“ ist, kann bei spitzfindiger Auslegung durchaus bestritten werden. Man sollte auch nicht aus den Augen verlieren, dass im Lichte des Demokratieprinzips und des passiven Wahlrechts die Vorschriften des Wahlzulassungsverfahren im Zweifelsfall so auszulegen sind, dass sie der Zulassung eines Wahlvorschlags nicht entgegen stehen. Hinzu kommt, dass die inhaltliche Richtigkeit der Niederschrift der Mitgliederversammlung der Freien Union von niemandem bestritten wurde.
Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Hans Hugo Klein, vertritt laut Spiegel Online sogar die Auffassung, die fehlende Unterschrift Paulis sei ein Mangel, der auch nach Fristende noch hätte geheilt werden können. Dem steht allerdings das Bundeswahlgesetz entgegen:
§ 25 Absatz 2 Bundeswahlgesetz:
„Nach Ablauf der Einreichungsfrist können nur noch Mängel an sich gültiger Wahlvorschläge behoben werden. Ein gültiger Wahlvorschlag liegt nicht vor, wenn
[...]
3. bei einem Parteiwahlvorschlag die Parteibezeichnung fehlt, die nach § 18 Abs. 2 erforderliche Feststellung der Parteieigenschaft abgelehnt ist oder die Nachweise des § 21 nicht erbracht sind,
[...]“
Bei der Niederschrift, auf der die Unterschrift von Gabriele Pauli fehlte, handelt es sich aber um einen Nachweis nach § 21 (Absatz 6 Satz 1). Wertet man die fehlende Unterschrift Paulis als Mangel, so hätte dieser also nach Fristablauf nicht mehr behoben werden können. Auch das seitens der Freien Union vorgebrachte Argument, der Landeswahlleiter habe ja pflichtwidrig gar nicht die – bei der Einreichung nicht anwesende – Vertrauensperson der Landesliste über den Mangel informiert, ist wenig überzeugend. Schließlich hätte diese Vertrauensperson erst recht nicht innerhalb weniger Minuten aus der Ferne die fehlende Unterschrift von Gabriele Pauli „heilen“ können. Unter diesen Umständen war es nachvollziehbar, lediglich die unmittelbar Anwesenden auf den vermeintlichen Mangel hinzuweisen.
Die Entscheidungen des Bundeswahlausschuss haben heftige Reaktionen bei den Betroffenen ausgelöst. Genüsslich reizte der PARTEI-Vorsitzende Martin Sonneborn in der Sitzung des Bundeswahllausschusses am 6. August die Grenzen der Meinungsfreiheit gegenüber Bundeswahlleiter Egeler aus: „Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass der letzte Wahlleiter in diesem Land, der derart undemokratisch mit kleinen und anderen Parteien umgesprungen ist, 1946 von einem alliierten Militärtribunal hingerichtet wurde. Es handelt sich um Hartmut Frick oder Wilfried Frick [sic, gemeint war Wilhelm Frick], den Reichswahlleiter der Nationalsozialisten. Das nur als kleine Denksportaufgabe für den Rest des Tages.“ Nicht weniger heftig fiel die Reaktion des Bundesvorsitzenden der Grauen aus, der auf der Internet-Seite seiner Gruppierung schreibt: „Ich hoffe, es gibt den lieben Gott wirklich, denn dann gibt es auch die Himmelspforte, und ich schwöre, am Check-in-Schalter bzw. Eingang wird dann ein Grauer-Pförtner stehen, und dann geht es für den Bundeswahlleiter mit dem Fahrstuhl gnadenlos ab nach unten ins Höllenreich.“
Die Polemik mag aus Sicht der Betroffenen nachvollziehbar sein, sachlich gerechtfertigt ist diese harsche Kritik aber nicht. Zwar mangelte es Egeler – der wie sein langjähriger Vorgänger Hahlen CDU-Mitglied ist – bei den Sitzungen des Bundeswahlausschusses hier und da an der notwendigen Souveränität in diffizilen Wahlrechtsfragen. Eine persönliche Voreingenommenheit zu Ungunsten der kleinen Parteien kann man ihm jedoch kaum vorwerfen. Bei der PARTEI und den Grauen war er ebenso wie die anderen Ausschussmitglieder Opfer von Versäumnissen seines Büros, die zudem durch Nachlässigkeiten der beiden betroffenen Vereinigungen begünstigt wurden. Allenfalls sein Stimmverhalten im Fall Freie Union kann ihm persönlich zur Last gelegt werden, obwohl er vermutlich auch hier schlecht beraten war.
Bei aller öffentlichen Empörung werden Sonneborn und seine PARTEI-Mitstreiter klammheimlich darüber feixen, dass sie es geschafft haben, die bundesdeutsche Wahlorganisation quasi zur Selbstkarikatur zu treiben. Eines ihrer ungeschriebenen Parteiziele dürfte damit verwirklicht sein. Man darf getrost davon ausgehen, dass sie auch bei ihren bereits angekündigten Klagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags und beim Bundesverfassungsgericht ihren Spaß haben und die Öffentlichkeit daran teilhaben lassen werden.
In Teilen der Presse wurde der Eindruck erweckt, als Reaktion auf die umstrittene Nichtzulassung der kleinen Parteien würde die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nun erstmals internationale Wahlbeobachter nach Deutschland schicken. In Wirklichkeit hatte die OSZE schon vor Monaten die Einladung des Auswärtigen Amtes angenommen, Wahlbeobachter zur Bundestagswahl zu entsenden.
Die PARTEI und die Freie Union haben bereits angekündigt, ihre Zulassung doch noch per Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht erreichen zu wollen. Dieses Unterfangen ist aussichtslos, da die Karlsruher Richter seit jeher die Auffassung vertreten – und dies am 31. Juli auch noch einmal bestätigt haben –, dass der Ausschluss eines ordentlichen Rechtswegs gegen Entscheidungen der Wahlorgane im Vorfeld der Wahl zulässig ist. Gerechtfertigt wird dies mit dem Charakter der Wahl als aufwendiges Massenverfahren, das zeitlich strikt auf den Wahltag hin abgestimmt ist. Schon geringe Verzögerungen durch gerichtliche Verfahren im Vorfeld der Wahl könnten den festgelegten Wahltermin gefährden. Deshalb werden alle wesentlichen wahlvorbereitenden Entscheidungen von Wahlausschüssen getroffen, die unabhängig von der Zahl der erschienenen Mitglieder beschlussfähig sind und an fast keine prozessualen Vorschriften gebunden sind. Da der Bundeswahlausschuss das ranghöchste dieser Gremien ist, bleibt nach dieser Logik für Anfechtungen von Entscheidungen des Bundeswahlausschuss nur der spätere Weg über das Wahlprüfungsverfahren. Sollten hierbei Wahlfehler festgestellt werden – so die Theorie –, kann die Wahl im Extremfall für ungültig erklärt und wiederholt werden.
Eine ernsthafte Gefahr für den Bestand der kommenden Bundestagswahl besteht indes trotz der zweifelhaften Entscheidungen des Bundeswahlausschusses nicht. Die drei betroffenen Gruppierungen – und vermutlich noch weitere der am 17. Juli nicht als Partei anerkannten Vereinigungen – werden nach der Wahl Einspruch beim Deutschen Bundestag und anschließend Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht erheben. Spätestens das Bundesverfassungsgericht wird ihnen möglicherweise in der Sache recht geben und die Rechtswidrigkeit der Entscheidungen des Bundeswahlausschusses feststellen. Eine Ungültigerklärung der Wahl und damit eine Auflösung des Bundestags wird es aber dennoch nicht geben.
Zum einen läge ein relevanter Wahlfehler nur vor, wenn sich die Nichtzulassung der kleinen Parteien bei realistischer Betrachtung auf die Sitzverteilung des Bundestags ausgewirkt haben könnte (Mandatsrelevanz). Sofern es hierbei am 27. September nicht außergewöhnlich knapp zugehen sollte, wird dies angesichts der bisherigen Ergebnisse der PARTEI und der Grauen sowie der organisatorischen Schwäche der Freien Union nicht der Fall sein. Und selbst wenn doch, dann würden die Wahlprüfungsbeschwerden an einer zweiten Hürde scheitern: Die Ungültigerklärung einer gesamten Wahl setzt nämlich nach Auffassung Karlsruhes einen erheblichen Wahlfehler von solchem Gewicht voraus, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich erschiene. Es wird dem Bundesverfassungsgericht – wie zuletzt beim Urteil zum negativen Stimmgewicht – nicht schwerfallen, dies zu verneinen. Dass Wiederholungswahlen somit nur noch in absoluten Extremfällen denkbar sind, macht den Ausschluss eines effektiven Rechtschutzes vor der Wahl noch fragwürdiger.
Ob das Bundesverfassungsgericht das gesetzlich vorgesehene Wahlzulassungsverfahren als solches rügen und zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeiten anmahnen wird, erscheint angesichts der bisherigen Rechtsprechung aber unwahrscheinlich. Dennoch sollte der nächste Bundestag in dieser Richtung tätig werden, da es einer gewachsenen Demokratie unwürdig ist, wenn – wie aktuell der Fall – bei Teilen der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, die Bundesrepublik Deutschland hätte ein Wahlzulassungsverfahren auf dem Niveau einer Bananenrepublik. Als Beschwerdeinstanz gegen Entscheidungen des Bundeswahlausschusses könnte das Bundesverwaltungsgericht dienen, dem dann allerdings ein strikter Zeitplan vorzugeben wäre. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, das Wahlvorschlagsrecht für Landeslisten bei einer Bundestagswahl nur solchen Vereinigungen einzuräumen, die den Vorschriften des Parteiengesetzes genügen. Zur Teilnahme bei der Europawahl und mehreren Landtagswahlen gilt es lediglich, als politische Vereinigung zusätzlich zu den Unterstützungsunterschriften noch eine Satzung, ein Programm und einen demokratisch gewählten Vorstand nachzuweisen. Warum dies nicht auch bei einer Bundestagswahl ausreichend sein soll, leuchtet nicht ein.