Neue NRW-Wahlgesetze – Widersprüche in den Referentenentwürfen
Mit Stand vom 23. Januar 2007 wurden die Referentenentwürfe für die Änderungen zum Landeswahlgesetz und Kommunalwahlgesetz in Nordrhein-Westfalen veröffentlicht (aktuelle Gesetzentwürfe). Nun erkennt man, was genau mit einigen Punkten der Vorankündigungen gemeint war.
- Positiv fällt vor allem der Wechsel zum Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) auf, der u. a. auch mit den Überlegungen auf Bundesebene und damit einer Wahlrechtsharmonisierung begründet wird.
- Negativ die Abschaffung der Stichwahl und der nun explizite Wahlsieg durch relative Mehrheit. Auch eine ganze Reihe von unklaren und widersprüchlichen Formulierungen und Formelfehler finden sich in den Entwürfen.
Landtagswahlgesetz
- Zur Vermeidung von Nachwahlen, wird im Wahlkreis ein Ersatzbewerber aufgestellt. Dieser kommt aber nur dann zum Zuge, wenn der eigentliche Bewerber vor der Wahl stirbt. Nach der Wahl rückt wieder ein Nachfolger von der Landesliste nach.
Eine Ersatzbewerberregelung ist eigentlich überflüssig (siehe Regelung in Bayern). Wenn aber ein Ersatzbewerber im Wahlkreis gewählt wird, dann soll dieser doch auch grundsätzlich immer nachrücken, so daß kein Systembruch zwischen vor und nach der Wahl konstruiert wird. Wenn ein im Wahlkreis gewählter Abgeordnete dann ausscheidet, bleibt durch den Nachrücker, also den Ersatzkandidaten des Wahlkreises, dieser nicht mehr unvertreten.
- Probleme bereiten auch die Formulierungen zum Divisorverfahren mit Standardrundung
- § 33 (4) – Behandlung gleicher Ansprüche auf den letzten Sitz
In Satz 5 steht: Kommt es... vier Stellen hinter dem Komma ...
Was sollen vier Nachkommastellen? Zum Auf- oder Abrunden benötigt man eine Nachkommastelle und wenn die Rundung dann nicht passt, muss ein anderer Zuteilungsdivisor gewählt werden. Bei gleichen Ansprüchen ist der Nachkommateil mehrmals glatt 0,5 und es muss (nach Regel oder Los) teils auf-, teils abgerundet werden.
- Widersprüchliche Ausgleichsmandateverteilung (Absatz 5)
Die Beschreibung der Berechnung in Satz 2 hält nicht, was Satz 1 verspricht. Es werden im Einzelfall zu viele Ausgleichsmandate verteilt. Die implizite Formel in Satz 2 ist falsch (sieht man auch am Beispiel S. 36). Man muss auch keine neue Ausgangszahl berechnen, sondern hat mit der Überhangpartei auch schon den passenden Divisor (bei mehreren Überhangparteien, den kleinsten Divisor nehmen). Die Formel muss lauten:
Divisor = Stimmen der Überhangpartei / (Sitze der Überhangpartei -1/2 )
Die Sitzzahl einer Partei ergibt sich dann aus Sitze=Stimmen/Divisor und kaufmännisches Runden.
Im Beispiel auf Seite 36 erhält die SPD so im ersten Schritt ein Ausgleichsmandat zuviel. Wenn man nämlich im Beispiel statt dem Divisor 41.567 (auf S. 37), mit dem Divisor 41.700 rechnet, wird insgesamt ein Sitz weniger verteilt, aber trotzdem alle Überhangmandate ausgeglichen. Erst durch das Bestreben einer ungeraden Sitzzahl und der zugehörigen Regelung kommt man im Ergebnis wieder auf einen weiteren Sitz an die SPD. (Das heißt, die Mängel der bisherigen Regelung Unterausgleich/Überausgleich, ... sind immer noch da)
Kommunalwahlgesetz
- Hier ergeben sich dieselben Punkte, wie beim Landeswahlgesetz
- Nachwahlen
- Formulierung Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë)
- Ausgleichsmandate Formel
- Bei der 0,75-Sitzklausel und der Mehrheitsklausel (mit dem Zusatzmandat) ist unklar auf welche Stimmenzahlen sich diese beziehen (Sinn macht nur, alle gültigen Stimmen).
- Zusatzmandat ist eine etwas unglückliche Bezeichnung, da es ja insgesamt nicht zusätzlich ist, es wird einer anderen Partei abgezogen und der Mehrheitspartei zugeschlagen. Der Abzug ist auch nicht sauber geregelt. Hierzu müßte man den Divisor hochsetzen und keine nur beim Hare/Niemeyer Verfahren passenden Formulierungen benutzen.
- Die Mehrheitsklausel muß in der Form nicht unbedingt zum erwünschten Ziel einer Sitzmehrheit der Mehrheitspartei kommen (es kommt ihm aber näher).
- Eine Mehrheitsklausel verzerrt, beispielsweise wenn eine 50,01 % Mehrheit in eine Mehrheit mit 11 zu 9 Sitzen (statt 10 zu 10) umgesetzt wird. Selbst das macht das große Parteien begünstigende Divisorverfahren mit Abrunden (d’Hondt) teilt hier 10:10 zu. Was anderes gilt bei ungeraden Gremiengrößen.
- Eine Mehrheitsklausel passt auch nicht ganz in ein gemischtes Gremium. Der Bürgermeister, der in einer eigenen Wahl gewählt wird und eine Stimme im Gemeinderat hat, wird durch die Mehrheitsklausel ausgehebelt.
- Die Wegfall der Stichwahl führt zu Zufallsbürgermeistern durch relative Mehrheiten. Das Alternativstimmenwahlrecht funktioniert in San Francisco und sollte in Nordrhein-Westfalen erst recht kein Problem bereiten.
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