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05.01.2024

Wiederholungswahl in Berlin: Ausgangslage und Kipppunkte

In Teilen Berlins wird am 11. Februar 2024 die Bundestagswahl wiederholt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 19. Dezember 2023 die Wahl in 455 von 2.256 Wahlbezirken für ungültig erklärt. Hier das Zweitstimmenergebnis in den betroffenen Wahlbezirken am 26. September 2021 im Vergleich zum gesamten Land Berlin sowie zum bundesweiten Ergebnis:

  Wiederholungswahlbezirke Berlin Deutschland
Wahlberechtigte 556.325 2.468.919 61.181.072
Wählende 426.956 76,7 % 75,2 % 76,6 %
Ungültige 5.750 1,0 % 1,6 % 0,9 %
Gültige 421.206 98,7 % 98,4 % 99,1 %
SPD 94.444 22,4 % 23,4 % 25,7 %
CDU 57.834 13,7 % 15,9 % 18,9 %
CSU 5,2 %
GRÜNE 114.530 27,2 % 22,4 % 14,8 %
FDP 38.191 9,1 % 9,1 % 11,5 %
AfD 29.539 7,0 % 8,4 % 10,3 %
DIE LINKE 50.094 11,9 % 11,4 % 4,9 %
SSW 0,1 %
Sonstige 36.574 8,7 % 9,4 % 8,3 %

Sieben Berliner Sitze sind vorerst verloren

Durch die annullierten Zweitstimmen verlieren alle im Bundestag vertretenen Parteien, sofern sie in Berlin angetreten sind, vorerst insgesamt sieben Sitze, die sie bei der Wiederholungswahl neu erobern müssen. Die Grünen, deren Hochburgen besonders stark betroffen sind, verlieren vorerst zwei Sitze, die anderen Parteien jeweils einen Sitz. Stabil bleiben nur die CSU und der SSW, die beide in Berlin nicht angetreten sind. Konkret sind von den Zweitstimmen, die vom Bundesverfassungsgericht nun für ungültig erklärt wurden, folgende Bundestagsmandate betroffen, allesamt von Berliner Landeslisten (in Klammern der Listenplatz):

SPD: Ana-Maria Trăsnea (6.)

CDU: Ottilie Klein (3.)

GRÜNE: Andreas Audretsch (3.) und Nina Stahr (4.)

FDP: Lars Lindemann (3.)

AfD: Götz Frömming (3.)

LINKE: Pascal Meiser (2.)

Dass nach dieser Rechnung ausschließlich Berliner MdBs das Mandat verlieren, ist durchaus auch Zufall. Es hätte auch Abgeordnete aus anderen Bundesländern treffen können. So ist der Sitz von Jürgen Hardt (CDU) aus Nordrhein-Westfalen weiterhin gefährdet (dazu gleich mehr).

Die Kipppunkte für weitere Sitze stehen bereits fest

Anders als bei Reichstagswahlen in der Weimarer Republik lässt sich bei einer Bundestagswahl normalerweise nicht genau vorhersagen, wie viele Stimmen man benötigt, um einen Sitz zu gewinnen. Denn bei einer proportionalen Verteilung von Sitzen auf mehrere Parteien hängt der Sitzanspruch nicht nur von der eigenen Stimmenzahl ab, sondern auch von den Stimmenzahlen der anderen Parteien. Ausnahmsweise ist dies im vorliegenden Fall aber anders. Denn da die reguläre Zahl von 598 Bundestagssitzen aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten ohnehin bereits weit überschritten ist, geht es zwischen den Parteien nur noch um die Verteilung von (ggf. weiteren) Ausgleichsmandaten. Maßstab für die nötige Zahl von Ausgleichsmandaten ist jedoch ausschließlich die am stärksten überhängende Partei. Das ist im Falle der Bundestagswahl 2021 die CSU, die nur in Bayern angetreten ist. Deren Stimmenzahl steht dementsprechend bereits fest, sie kann sich durch die Wiederholungswahl in Berlin nicht mehr ändern. Der für alle Parteien maßgebliche Bundesdivisor (≈ 57.899,4458) ergibt sich, indem man die Zweitstimmen der CSU (2.402.827) durch 41,5 teilt, weil damit (gerundet) die 45 Direktmandate der CSU abzüglich drei unausgeglichener Überhangmandate abgedeckt sind. Dieser Bundesdivisor bildet zugleich den Abstand zwischen den Kipppunkten bei der bundesweiten Sitzverteilung ab.

Partei-intern stehen die Berliner Landeslisten der übrigen Parteien darüber hinaus im Wettbewerb mit den Landeslisten der jeweiligen Partei in anderen Bundesländern. Auch deren Stimmzahlen stehen fest.

Daher lässt sich für die Wiederholungswahl am 11. Februar genau vorhersagen, bei wie vielen Zweitstimmen ein Sitz kippen wird – sowohl in der parteiinternen Verteilung zwischen den Landeslisten als auch in der bundesweiten Verteilung der Ausgleichsmandate auf die Parteien. Diese Kipppunkte sind im Folgenden aufgeführt. Angegeben ist die absolute Zahl der erforderlichen Zweitstimmen für die jeweilige Partei. Damit man sich vorstellen kann, wie realistisch das Erreichen dieser Kipppunkte ist, geben wir zudem den Prozentwert in Bezug auf das bei der Hauptwahl am 26. September 2021 im Wiederholungswahlgebiet erreichte Zweitstimmenergebnis an (siehe Tabelle oben). Dabei sollte man einkalkulieren, dass die Wahlbeteiligung bei einer Wiederholungswahl üblicherweise deutlich niedriger ausfällt als bei der Hauptwahl.

Hinweis: Bei den angegebenen Namen wird davon ausgegangen, dass es nicht zu partei-internen Verschiebungen durch neu gewonnene Direktmandate kommt. Sollte eine nicht auf der Landesliste abgesicherte Person einen Wahlkreis kippen und für sich entscheiden können (siehe unten), verschiebt sich der letzte zum Zug kommende Listenplatz entsprechend.

Die Kipppunkte bei der SPD

Zweitstimmen bei
Wiederholungswahl
Zweitstimmen
Land Berlin
Auswirkung
37.347 (39,5 %) 371.192 Die SPD gewinnt das verlorene Ausgleichsmandat zurück (also wieder 206 Sitze insgesamt). Dieses fällt aber zunächst an die Landesliste Niedersachsen. Erste Nachrückerin dort ist Angela Hohmann (Listenplatz 28).
48.126 (51,0 %) 381.971 Der Sitzanspruch der Berliner Landesliste überholt die niedersächsische Landesliste. Das Ausgleichsmandat geht nicht mehr an Angela Hohmann, sondern wieder an Ana-Maria Trăsnea.
95.246 (100,8 %) 429.091 Die SPD erhält ein weiteres Ausgleichsmandat, kommt also bundesweit auf 207 Sitze. Es profitiert die Landesliste Niedersachsen, also doch wieder Angela Hohmann.
106.891 (131,8 %) 440.736 Im SPD-internen Wettbewerb knöpft die Berliner Landesliste Angela Hohmann erneut das Mandat ab. Nutznießer ist diesmal Torsten Einstmann (7.).

Fazit: Die Umfragen lassen ein deutlich schlechteres SPD-Ergebnis als im September 2021 erwarten (damals 94.444 Zweitstimmen). In Kombination mit einer niedrigen Wahlbeteiligung könnte es für die SPD schwierig werden, das verlorene Mandat bei der Wiederholungswahl zurückzugewinnen. Selbst wenn es gelingt, könnte es passieren, dass die Berliner SPD diesen Sitz an die niedersächsischen Genossen abgeben muss. Ein zusätzlicher Sitzgewinn, an dem die SPD vor zwei Jahren noch denkbar knapp (802 Zweitstimmen) vorbeigeschrammt ist, erscheint nun unerreichbar fern.

Die Kipppunkte bei der CDU

Zweitstimmen bei
Wiederholungswahl
Zweitstimmen
Land Berlin
Auswirkung
46.462 (80,3 %) 278.319 Die Berliner CDU erobert sich ihr verlorenes Mandat im partei-internen Wettbewerb zurück – auf Kosten der NRW-CDU. Ottilie Klein ist wieder im Bundestag, stattdessen fliegt Jürgen Hardt aus Nordrhein-Westfalen raus.
54.130 (93,6 %) 285.987 Jetzt gewinnt die CDU auch bundesweit das Ausgleichsmandat zurück. Der Sitz geht nach NRW, Jürgen Hardt kann aufatmen.
108.311 (187,3 %) 340.168 Die Berliner CDU überholt noch einmal die NRW-CDU. Jürgen Hardt verliert seinen Sitz an Klaus-Dieter Gröhler (5.).
112.029 (193,7 %) 343.886 Die CDU erhält ein weiteres Ausgleichsmandat, kommt also bundesweit auf 153 Sitze. Es profitiert, wenig überraschend, die Landesliste NRW in Person von Jürgen Hardt.

Fazit: Obwohl die CDU bei der Wiederholungswahl auf ein erheblich bessere Prozentergebnis als im September 2021 hoffen kann (damals 57.834 Zweitstimmen), könnten ihr am Ende die notwendigen Stimmen fehlen, um die alte Sitzzahl halten zu können. Zittern muss nicht nur die Berliner CDU, sondern auch Jürgen Hardt in NRW. Der ist das allerdings gewohnt.

Nachtrag 06.02.2024: Ein Leser hat uns darauf hingewiesen, dass die CDU-interne Sitzverteilung zwischen Berlin und NRW auch durch die Zahl der Direktmandate in den Berliner Wahlkreisen beeinflusst werden kann. Sollte die CDU bei der Wiederholungswahl ein zusätzliches Direktmandat erzielen, können auch deutlich weniger als 46.462 Zweitstimmen reichen, um den Sitz von NRW nach Berlin kippen zu lassen. Hintergrund ist, dass der Landes-Mindestsitzanspruch der Berliner CDU gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG (alte Fassung) durch das Direktmandat um eins stiege. Sollte die CDU am 11. Februar über 54.130 Zweitstimmen und drei zusätzliche Direktmandate erzielen, wäre der Kipppunkt in entsprechender Weise bereits mit weniger als 108.311 Zweitstimmen erreicht. Die genauen Kipppunkte lassen sich in diesen Konstellationen nicht vorhersehen, da sie auch von den Zweitstimmenergebnissen der anderen Parteien abhängig sind. In jedem Fall betrifft dieses Sonderphänomen nur die partei-interne Verteilung, die Kipppunkte für den Gewinn eines zusätzlichen Mandats für die CDU insgesamt blieben davon unberührt (bei 54.130 und 112.029).

Die Kipppunkte bei den Grünen

Zweitstimmen bei
Wiederholungswahl
Zweitstimmen
Land Berlin
Auswirkung
7.609 (6,6 %) 301.612 Mühelos holen sich die Grünen das erste der beiden verlorenen Ausgleichsmandate zurück und kommen nun auf 117 Sitze. Der Sitz bleibt in Berlin bei Andreas Audretsch.
65.509 (57,2 %) 359.512 Auch das zweite Ausgleichsmandat kippt im Bundesproporz zurück zu den Grünen. Im partei-internen Proporz haben die NRW-Grünen aber erst einmal noch den höheren Anspruch auf diesen Sitz. Daher profitiert Franziska Krumwiede-Steiner auf Listenplatz 29 der Landesliste in Nordrhein-Westfalen.
81.122 (70,8 %) 375.125 Nina Stahr kann aufatmen. Die Berliner Landesvorsitzende der Grünen erobert ihr Bundestagsmandat zurück. Franziska Krumwiede-Steiner geht leer aus.
123.409 (107,8 %) 417.412 Die Grünen gewinnen sogar noch ein drittes Ausgleichsmandat und stehen mit 119 Sitzen besser da als im September 2021. Nutznießerin ist Franziska Krumwiede-Steiner.

Fazit: Obwohl die Grünen (2021: 114.530 Zweitstimmen) durch die BVerfG-Entscheidung als einzige Partei gleich zwei Sitze vorerst eingebüßt haben, haben sie gute Chancen, beide Sitze zurückzuerobern. Ob die aber auch beide in Berlin bleiben oder ob einer davon nach NRW kippt, erscheint völlig offen.

Die Kipppunkte bei der FDP

Zweitstimmen bei
Wiederholungswahl
Zweitstimmen
Land Berlin
Auswirkung
16.039 (42,0 %) 143.785 In der bundesweiten Sitzverteilung erobert die FDP das durch das BVerfG-Urteil verlorene Ausgleichsmandat zurück. Die alte Fraktionsstärke von 92 Sitzen ist wiederhergestellt. Für die Berliner FDP reicht es aber noch nicht ganz, der Sitz geht vorerst nach Nordrhein-Westfalen an Fabian Griewel auf Listenplatz 21.
17.146 (44,9 %) 144.892 Wie gewonnen, so zerronnen: Fabian Griewel muss den Sitz schon wieder abgeben, denn er kippt nun zurück nach Berlin zu Lars Lindemann.
73.938 (193,6 %) 201.684 Sehr unrealistisch, aber erst an dieser Stelle kippt ein weiteres Mandat: Fabian Griewel in NRW darf ein zusätzliches Ausgleichsmandat einnehmen.

Fazit: In Umfragen erreicht die FDP derzeit nicht einmal mehr die Hälfte ihres 2021er-Ergebnisses (38.191 Zweitstimmen). Daher spricht viel dafür, dass die FDP-Fraktion durch die Wiederholungswahl um ein Mandat schrumpfen wird.

Die Kipppunkte bei der AfD

Zweitstimmen bei
Wiederholungswahl
Zweitstimmen
Land Berlin
Auswirkung
2.342 (7,9 %) 126.497 Schon wenige Zweitstimmen reichen der AfD, und das verlorene Ausgleichsmandat ist zurückerobert. Es profitiert allerdings vorerst die Landesliste Sachsen in Person von Jens Maier (Listenplatz 2).
20.380 (69,0 %) 144.535 Der wiedergewonnene Sitz kippt von Sachsen zurück nach Berlin. Mit Götz Frömming statt Jens Maier ist der alte Zustand wiederhergestellt.
60.241 (203,9 %) 184.396 Ein weiteres Ausgleichsmandat geht an die AfD und beschert Jens Maier den Wiedereinzug in den Bundestag.
78.194 (264,7 %) 202.349 Die Berliner AfD schnappt Jens Maier den Sitz wieder weg und kann ihn mit Georg Pazderski besetzen.

Fazit: Trotz des Höhenflugs in den Umfragen dürfte es der AfD schwerfallen, von der Wiederholungswahl zu profitieren. Denn sie müsste mehr als doppelt so viele Stimmen erhalten wie im September 2021 (damals 29.539 Zweitstimmen) – bei vermutlich sinkender Wahlbeteiligung. Sollte es dennoch gelingen, droht ein Comeback des rechtsextremen Ex-Richters Jens Maier.

Die Kipppunkte bei der Linken

Zweitstimmen bei
Wiederholungswahl
Zweitstimmen
Land Berlin
Auswirkung
8.317 (16,6 %) 167.275 Im Bundesproporz erhält die Linke das Ausgleichsmandat zurück. Zunächst hat aber die hessische Landesliste den höheren Sitzanspruch als Berlin. Daher zieht Christine Buchholz von Platz 3 der hessischen Landesliste in den Bundestag ein.
40.661 (81,2 %) 199.619 Die Berliner Landesliste zieht an der hessischen vorbei und holt sich den Sitz für Pascal Meiser zurück.
66.217 (132,2 %) 225.175 Die Linke kann ein weiteres Ausgleichsmandat für sich und ihre hessische Landesliste ergattern.

Fazit: Die Linke (2021: 50.094 Zweitstimmen) wird nach der Wiederholungswahl sehr wahrscheinlich genauso viele Bundestagsabgeordnete stellen wie zuvor. Dennoch ist gut möglich, dass es eine personelle Veränderung geben wird: Pascal Meiser muss befürchten, seinen Sitz an Christine Buchholz zu verlieren.

Wahlkreise auf der Kippe

Berlin hat zwölf Bundestagswahlkreise. In allen Wahlkreisen sind jeweils mehrere Wahlbezirke von der Wiederholungswahl betroffen. Dennoch gibt es nur drei bis vier Wahlkreise, in denen es durch die Wiederholungswahl realistischerweise zu Veränderungen in der Zusammensetzung des Bundestags kommen könnte.

Im Wahlkreis 76 (Pankow) wird praktisch komplett neu gewählt, da über 86 Prozent der abgegebenen Stimmen annulliert wurden. Klaus Mindrup (SPD) geht mit einem kleinen Vorsprung in die Wiederholungswahl, der bisherige Wahlkreissieger Stefan Gelbhaar (GRÜNE) startet sogar nur von Platz vier aus ins Rennen. Gelbhaar ist der einzige Kandidat mit Erfolgsaussichten, der über die Landesliste abgesichert ist.

Wahlkreis 76 – Pankow Hauptwahl 26.09.21 Annullierte Wahlbezirke Ausgangslage 11.02.24
Wahlberechtigte 235.647 201.001 34.646
Wählende 184.636 78,4 159.113 79,2 25.523 73,7
Ungültige 2.530 1,4 2.069 1,3 461 1,8
Gültige 182.106 98,6 157.044 98,7 25.062 98,2
Stefan Gelbhaar (GRÜNE) 46.401 25,5 42.706 27,2 3.695 14,7
Klaus Mindrup (SPD) 39.131 21,5 33.036 21,0 6.095 24,3
Udo Wolf (LINKE) 29.559 16,2 25.735 16,4 3.824 15,3
Manuela Anders-Granitzki (CDU) 23.045 12,7 19.209 12,2 3.836 15,3
Götz Frömming (AfD) 16.242 8,9 12.756 8,1 3.486 13,9
Daniela Kluckert (FDP) 12.515 6,9 10.800 6,9 1.715 6,8

In Reinickendorf (Wahlkreis 77) geht Monika Grütters (CDU) zwar lediglich mit einem Vorsprung von 1.876 Erststimmen vor dem nicht über die Landesliste abgesicherten Torsten Einstmann (SPD) in die Wiederholungswahl. Doch angesichts des Stimmungsumschwungs seit September 2021 erscheint normalerweise ausgeschlossen, dass der Sozialdemokrat dies noch drehen könnte. Es sei denn, Reinickendorfer Lokalpatrioten kämen auf die Idee, ungeachtet von Parteipräferenzen den SPD-Bewerber Einstmann zu wählen, damit dieser seine Treptow-Köpenicker Parteigenossin Ana-Maria Trăsnea aus dem Bundestag verdrängt (bzw. Ruppert Stüwe aus Steglitz-Zehlendorf, falls die Berliner SPD einen Sitz verliert). Reinickendorf hätte dann einen Abgeordneten mehr als bisher, denn Grütters ist über die Landesliste abgesichert.

Wahlkreis 77 – Reinickendorf Hauptwahl 26.09.21 Annullierte Wahlbezirke Ausgangslage 11.02.24
Wahlberechtigte 176.585 56.142 120.443
Wählende 128.577 72,8 39.489 70,3 89.088 74,0
Ungültige 2.951 2,3 919 2,3 2.032 2,3
Gültige 125.626 97,7 38.570 97,7 87.056 97,7
Monika Grütters (CDU) 34.233 27,2 10.210 26,5 24.023 27,6
Torsten Einstmann (SPD) 32.445 25,8 10.298 26,7 22.147 25,4
Bernd Schwarz (GRÜNE) 17.621 14,0 4.977 12,9 12.644 14,5
Sebastian Maack (AfD) 12.249 9,8 4.057 10,5 8.192 9,4
Friedrich Ohnesorge (FDP) 10.927 8,7 3.288 8,5 7.639 8,8
Hakan Taş (LINKE) 6.107 4,9 1.941 5,0 4.166 4,8

Gut vierzig Prozent der Wahlberechtigten sind in Charlottenburg-Wilmersdorf (Wahlkreis 80) zur Wiederholungswahl aufgerufen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass der ehemalige Regierende Bürgermeister, Michael Müller (SPD), sein Direktmandat an die Bundessozialministerin Lisa Paus von den Grünen oder an den früheren Wahlkreisabgeordneten Klaus-Dieter Gröhler von der CDU verlieren wird. Müller und Paus sind über die Landesliste abgesichert, nicht aber Klaus-Dieter Gröhler.

Wahlkreis 80 – Charlottenburg-Wilmersdorf Hauptwahl 26.09.21 Annullierte Wahlbezirke Ausgangslage 11.02.24
Wahlberechtigte 196.800 84.060 112.740
Wählende 155.726 79,1 67.018 79,7 88.708 78,7
Ungültige 1.920 1,2 876 1,3 1.044 1,2
Gültige 153.806 98,8 66.142 98,7 87.664 98,8
Michael Müller (SPD) 42.934 27,9 18.622 28,2 24.312 27,7
Lisa Paus (GRÜNE) 37.531 24,4 15.927 24,1 21.604 24,6
Klaus-Dieter Gröhler (CDU) 34.308 22,3 14.980 22,6 19.328 22,0
Christoph Meyer (FDP) 14.982 9,7 6.393 9,7 8.589 9,8
Michael Efler (LINKE) 8.802 5,7 3.676 5,6 5.126 5,8
Eva-Marie Doerfler (AfD) 6.539 4,3 2.802 4,2 3.737 4,3

Im Wahlkreis 81 (Tempelhof-Schöneberg) wird das Direktmandat von Kevin Kühnert (SPD) zurück in einen Dreikampf mit Renate Künast (GRÜNE) und Jan-Marco Luczak (CDU) geworfen, aber eine Niederlage des SPD-Generalsekretärs hätte lediglich symbolischen Charakter, da alle drei Kandidaten über die Landesliste abgesichert sind, so dass es für die Sitzverteilung irrelevant ist, wer von ihnen den Wahlkreis gewinnt. Anders sähe dies nur aus, wenn entweder sowohl Anders-Granitzki als auch Gröhler ein Direktmandat erringen oder wenn dies zumindest einem der beiden gelingt, während die CDU gleichzeitig auf weniger als 46.462 Zweitstimmen kommt. In beiden Fällen würden zwei Berliner Listensitze wegfallen, so dass auch Luczak auf einen Sieg im Wahlkreis angewiesen wäre.

Wahlkreis 81 – Tempelhof-Schöneberg Hauptwahl 26.09.21 Annullierte Wahlbezirke Ausgangslage 11.02.24
Wahlberechtigte 231.500 21.832 209.668
Wählende 178.035 76,9 16.216 74,3 161.819 77,2
Ungültige 2.786 1,6 262 1,6 2.524 1,6
Gültige 175.249 98,4 15.954 98,4 159.295 98,4
Kevin Kühnert (SPD) 47.451 27,1 4.439 27,8 43.012 27,0
Renate Künast (GRÜNE) 44.021 25,1 4.554 28,5 39.467 24,8
Jan-Marco Luczak (CDU) 38.400 21,9 2.782 17,4 35.618 22,4
Lars Lindemann (FDP) 12.822 7,3 1.022 6,4 11.800 7,4
Alexander King (LINKE) 10.673 6,1 1.262 7,9 9.411 5,9
Frank-C. Hansel (AfD) 10.005 5,7 825 5,2 9.180 5,8

In zwei der anderen Wahlkreise ist ein Wechsel des Direktmandats schon rechnerisch unmöglich; dies betrifft die beiden Direktmandate der Linken in den Wahlkreisen 84 (Treptow-Köpenick, Gregor Gysi) und 86 (Lichtenberg, Gesine Lötzsch). Auch in den übrigen Wahlkreisen ist ein Wechsel des Direktmandats praktisch ausgeschlossen.

Parteienfinanzierung

Eine Kleinpartei, dies es schafft, bei einer Bundestagswahl mindestens 0,5 % der gültigen Zweitstimmen zu erreichen, erhält für die Stimmen jährliche Zahlungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Bei der Hauptwahl am 26. September 2021 verpasste die Partei „Team Todenhöfer“ diese Schwelle knapp um 0,03 Prozentpunkte. Berlin war dabei mit rund 1,0 % der Stimmen die „Hochburg“ der Partei. Dementsprechend ist nicht völlig ausgeschlossen, dass das „Team Todenhöfer“ diese Schwelle bei der Wiederholungswahl nun doch noch erreicht. In den von der Wiederholungswahl betroffenen Wahlbezirken hatte sie bei der Hauptwahl 3.961 Zweitstimmen erhalten. Diesen Wert müsste die Partei am 11. Februar ungefähr verfünffachen, um die 0,5-Prozent-Hürde zu überspringen.

Späte Entscheidung

Zurecht wird nun kritisiert, dass es über zwei Jahre gedauert hat, bis über die Wiederholungswahl in Berlin entschieden wurde. Wahlrecht.de fordert schon seit über zwanzig Jahren eine grundlegende Reform des Wahlprüfungsverfahren grundlegend zu reformieren. Zu unseren langjährigen Forderungen zählt die Schaffung eines echten Wahlprüfungsgerichts in erster Instanz, die Verkürzung von Verfahrensfristen und ein Beschleunigungsgebot.

Die Sinnfrage

Wir möchten auch noch einmal dazu ermuntern, die Frage nach dem Sinn dieser Wiederholungswahl zu stellen. Mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts: „Die Wahlprüfung dient der Feststellung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Parlaments und dem Schutz des subjektiven Wahlrechts der Bürgerinnen und Bürger.“ Bringt uns diese Wiederholungswahl diesen Zielen irgendwie näher? Ganz im Gegenteil:

Dass das Bundesverfassungsgericht diese Probleme mit dem lapidaren Hinweis abtut (Rn. 308), sie folgten „aus dem Umstand, dass sich die Stimmabgabe auf zwei verschiedene Zeitpunkte bezieht, zu denen von einem Wahlbezirk ausgehend demokratische Legitimation vermittelt wird“, ist angesichts der rein wahltechnischen Bedeutung von Wahlbezirken schwer nachzuvollziehen. Das Mindeste wäre daher gewesen, die Wiederholungswahl auf Grundlage der alten Wählerverzeichnisse vom September 2021 durchzuführen. Noch sinnvoller wäre es gewesen, die Gültigkeit aller abgegebenen Stimmen aufrecht zu erhalten und die Wiederholungswahl lediglich auf jene Berliner Wahlberechtigten zu beschränken, die bei der Bundestagswahl 2021 keine Stimme abgegeben hatten.


von Wilko Zicht (05.01.2024, zuletzt aktualisiert: 11.02.2024)