Bundestagswahlrecht

[Wahlrechtslexikon]

Geschichte des Wahlrechts zum Bundestag

Die Entwicklung des Wahlgesetzes zum 1. Bundestag

1. September 1948
Der Parlamentarische Rat tritt (gewählt von den Landtagen elf westdeutscher Länder) zu seiner konstituierenden Sitzung in Bonn zusammen.
8. Mai 1949
Der Parlamentarische Rat beschließt das erarbeitete Grundgesetz mit einer Mehrheit von 53 Stimmen (gegen 12 bayerische Stimmen).
23. Mai 1949
Das Grundgesetz wird nach Zustimmung der Militärregierungen und der Landtage verkündet. Es gewährt das allgemeine, freie, gleiche, geheime und unmittelbare Wahlrecht, das aktive Wahlrecht ab dem vollendeten 21. Lebensjahr, das passive ab dem vollendeten 25. Lebensjahr.
14. August 1949
Erste Bundestagswahl
  • Der Parlamentarische Rat konnte sich nicht auf eine verfassungsrechtliche Festlegung des Wahlsystems einigen, darum gab es für die erste Bundestagswahl ein eigenes Wahlgesetz.
  • Jeder Wähler hatte eine Stimme.
  • Jedes Bundesland war ein abgeschlossenes Wahlgebiet mit festgelegter Anzahl proportional zu vergebender Mandate.
  • Berechnungsverfahren Divisorverfahren mit Abrunden (d’Hondt).
  • Auch die 5 %-Klausel galt innerhalb eines Bundeslandes.
  • Grundmandatsklausel (ein Mandat) auf Landesebene.
  • Die Kandidatur erfolgte über Wahlkreise und Landeslisten (sog. personalisierte Verhältniswahl).
  • Wenn direkt gewählte Mitglieder aus dem Bundestag ausscheiden, dann muss im Wahlkreis neugewählt werden.
  • Im Falle von Überhangmandaten sah das Wahlgesetz zunächst eine unvollständige Regelung zu Ausgleichsmandaten vor: Die Sitzzahl im betroffenen Bundesland sollte sich um die Zahl der Überhangmandate erhöhen und erneut nach d'Hondt verteilt werden. Hierbei wäre es in aller Regel wiederum zu Überhangmandaten gekommen, für deren Handhabung keine ausdrückliche Regelung vorgesehen war. Nachdem die Mangelhaftigkeit der Ausgleichsmandatsregelung erkannt wurde und die Landeswahlleiter angekündigt hatten, sie zu ignorieren, wurde das Wahlgesetz neun Tage vor der Wahl von den Militärgouverneuren dahingehend geändert, dass Überhangmandate der betroffenen Partei ohne Ausgleich für die anderen Parteien verbleiben.
  • 402 gewählte Abgeordnete zuzüglich 19 vom Berliner Abgeordnetenhaus entsandte Vertreter.
  • Das Verhältnis von Direkt zu Listenmandate (ohne Überhänge) betrug 60:40.
    Zahl der Wahlkreise: 242
  • Grundmandatsklausel, ein gewonnenes Direktmandat ist ausreichend für den Einzug einer Partei ins Parlament. Dies führte zu 14 Nachwahlen im ersten Bundestag.
    Wahlgesetz zum ersten Bundestag:

Die Entwicklung des Wahlgesetzes zum 2. Bundestag

8. Juli 1953
Wahlgesetz zum zweiten Bundestag und zur Bundesversammlung (BGBl. I S. 470)
  • Scheidet ein Abgeordneter aus, so rückt ein Kandidat der entsprechenden Landesliste nach.
  • Wenn ein unabhängiger Abgeordneter ausscheidet, kommt es zu Nachwahlen.
  • Das Verhältnis von Direkt zu Listenmandate (ohne Überhänge) betrug nun 50:50.
  • Einführung der Erststimme.
  • Fünf-Prozent-Sperrklausel gilt bundesweit.
6. September 1953
Zweite Bundestagswahl
  • 484 Mandate zuzüglich drei Überhänger zuzüglich 22 Vertreter des Berliner Abgeordnetenhauses
    Zahl der Wahlkreise: 242

Die Entwicklung des Bundeswahlgesetzes

15. März 1956
Verabschiedung des Bundeswahlgesetzes im Bundestag gegen die Stimmen der CSU und der Deutschen Partei
  • Ausfertigung am 7. Mai 1956
  • Verkündung am 9. Mai 1956 (BGBl. I 1956, S. 383)
  • Inkrafttreten am 23. Mai 1956
15. September 1957
Dritte Bundestagswahl
  • Mehrstufiges Verteilungsverfahren
    • Oberverteilung an Partei
    • Unterverteilung an Parteilandeslisten
    • Dann erst (!) Verrechnung mit Direktmandaten, keine Verrechnung interner Überhangmandate
    dadurch Auftreten negativer Stimmen
  • Berechnungsverfahren Oberverteilung: Divisorverfahren mit Abrunden (d'Hondt).
  • Berechnungsverfahren Unterverteilung: Divisorverfahren mit Abrunden (d'Hondt).
  • Notwenige Anzahl Direktmandate für Grundmandatsklausel steigt auf drei.
  • Zahl der zu vergebenen Mandate im Bundestag erhöhte sich (wegen des Beitritts des Saarlandes) auf 494, zuzüglich Vertreter des Berliner Abgeordnetenhauses, ohne Überhänge (3 Überhänge).
    Zahl der Wahlkreise: 247 (5 neue saarländische Wahlkreise)
  • Einführung der Briefwahl
17. September 1961
Vierte Bundestagswahl
19. September 1965
Fünfte Bundestagswahl
  • Zahl der Wahlkreise: 248
  • Neuverteilung der Wahlkreise auf die Bundesländer
28. September 1969
Sechste Bundestagswahl
19. November 1972
Siebte Bundestagswahl
3. Oktober 1976
Achte Bundestagswahl
5. Oktober 1980
Neunte Bundestagswahl
  • Leichte Neuverteilung der Wahlkreise auf die Bundesländer
6. März 1983
10. Bundestagswahl
25. Januar 1987
11. Bundestagswahl
  • Änderung der Berechnungsverfahren
    • Berechnungsverfahren Oberverteilung: Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer)
    • Berechnungsverfahren Unterverteilung: Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer)
    Dadurch weitere Möglichkeiten negativer Stimmen.
  • Einführung des Wahlrechts der im Ausland lebenden Deutschen
496 Normal-Sitze
2. Dezember 1990
12. Bundestagswahl
  • Sonderregelung für die 12. Bundestagswahl (direkt nach der Wiedervereinigung)
    • Getrennte Anwendung der Fünf-Prozent-Hürde in Ost und West. Es genügte für eine Partei in einem der beiden Wahlgebiete [alte DDR + Berlin (Ost), alte BR Deutschland + Berlin (West)] 5 % der Stimmen zu erhalten.
  • Anzahl der Wahlkreise: 328
  • Abschaffung Sonderregelung für die Berliner Abgeordneten
16. Oktober 1994
13. Bundestagswahl
26. Februar 1998
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Kein Nachrücken in Wahlkreismandate, solange die Partei des weggefallenen Wahlkreisabgeordneten in dem betreffenden Land über Überhangmandate verfügt
BVerfG, Beschluss vom 26.02.1998 – 2 BvC 28/96 (BVerfGE 97, 317)
27. September 1998
14. Bundestagswahl
22. September 2002
15. Bundestagswahl
  • Verringerung der Anzahl der Wahlkreise auf 299
18. September 2005
16. Bundestagswahl
17. März 2008
Einführung des Divisorverfahrens mit Standardrundung (Sainte-Laguë) (wurde auf Empfehlung des Bundestages, des Bundeswahlleiters und der Betreiber von Wahlrecht.de von der Bundesregierung geprüft)
3. Juli 2008
Urteil des Bundesverfassungsgerichts „Negatives Stimmgewicht“: Regelungen des Bundeswahlgesetzes verfassungswidrig – Änderungsfrist bis zum 30. Juni 2011
BVerfG, Urteil vom 03.07.2009 – 2 BvC 1/07, 2 BvC 7/07 (BVerfGE 121, 266)
3. März 2009
Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Verwendung von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 verfassungswidrig
BVerfG, Urteil vom 03.03.2009 – 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 (BVerfGE 123, 39)
27. September 2009
17. Bundestagswahl
3. Dezember 2011
Ausweitung des negativen Stimmgewichts im Bundeswahlgesetz (Sitzzuteilung nun zuerst auf die Länder, dann auf die Landeslisten; Ländergewichtung auf Basis abgegebener (inkl. ungültiger) Stimmen; „positve Reststimmenmandate“) tritt in Kraft
19. Juli 2012
Eröffnung des Rechtswegs zum Bundesverfassungsgericht vor der Wahl bei Nichtanerkennung als politische Partei durch den Bundeswahlausschuss; Zusammensetzung von Bundeswahlausschuss und Landeswahlausschüssen wird um je zwei Berufsrichter ergänzt; Ausweitung der Wahlprüfung von Bundestag und Bundesverfassungsgericht (ggf. Feststellung der Verletzung subjektiver Rechte) sowie Verzicht auf Beitrittserfordernis bei Wahlprüfungsbeschwerden tritt in Kraft
25. Juli 2012
Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Negatives Stimmgewicht bleibt verfassungswidrig und unausgeglichene Überhangmandate sind nur noch begrenzt zulässig – die betreffende Regelung ist nichtig; das Bundeswahlgesetz damit bis auf weiteres nicht anwendbar
BVerfG, Urteil vom 25.07.2012 – 2 BvR 2670/11, 2 BvF 3/11, 2 BvE 9/1
7. August 2012
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht: Regelung des aktiven Wahlrechts Auslandsdeutscher (§ 12 Abs. 2 Satz 1 BWahlG) ist verfassungswidrig und nichtig; damit hatten Auslandsdeutsche (bis zum Inkrafttreten der Neuregelung am 3. Mai 2013) kein Wahlrecht
BVerfG, Beschluss vom 04.07.2012 – 2 BvC 1/11, 2 BvC 2/11
8. Mai 2013
Ausgleich von Überhangmandaten; nach Überschlagsrechnung zur Ermittlung von Mindestsitzzahlen der Parteien tritt in Kraft
22. September 2013
18. Bundestagswahl

von Martin Fehndrich, Wilko Zicht und Matthias Cantow (26.07.2001, letzte Aktualisierung: 08.05.2013)