Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen

[Wahlprüfung]

Beschluss vom 25. März 2011

15 A 1641/10

„Ausgleichsmandatsregelung Kommunalwahlen NW“


Entscheidungen 2000–heute

Beschluss

des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. März 2011
– 15 A 1641/10 –

Entscheidungsformeln:

Das angegriffene Urteil wird geändert: Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Voll-streckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.

Entscheidungsgründe:

Die Beteiligten streiten um die Neufeststellung des Ergebnisses der Wahl zum Rat der Stadt B vom 30. August 2009. An dieser nahm auch die Wählergruppe „F. M. B.“ (F1) teil. Nach dem amtlichen Endergebnis der Wahl zum Rat der Stadt B wurde der F1 kein Sitz im Rat zugeteilt; namentlich wurde sie als bei der ersten Sitzzuteilung erfolglos gebliebene Wählergruppe beim durch entstandene Überhangmandate erforderlich gewordenen Verhältnisausgleich nicht berücksichtigt. Der Kläger ist Vorstand der F1. Seine Klage zielt im Ergebnis darauf ab, dass der F1 im Wege der Neufeststellung des Wahlergebnisses ein Sitz im Rat der Stadt B zugesprochen wird. Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen. 1
Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Das Wahlergebnis sei mit Blick auf die Partei der T und der Wählergruppe F1 nicht richtig festgestellt worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen lasse sich das festgestellte Wahlergebnis nicht auf § 61 Abs. 5 Sätze 2 und 3 der Kommunalwahlordnung (KWahlO) stützen, die ausdrücklich bei einer durch Überhang- und Ausgleichsmandate erforderlich werdenden Sitzverteilung nach § 33 Kommunalwahlgesetz (KWahlG) die Nichtberücksichtigung von Parteien und Wählergruppen vorsähen, die bei einer Sitzverteilung ausschließlich nach § 33 Abs. 2 KWahlG keinen Sitz erlangen würden. Die Bestimmungen des § 61 Abs. 5 Sätze 2 und 3 KWahlO seien mit höherrangigem Recht unvereinbar und daher nichtig. Komme es infolge von Überhang- und Ausgleichsmandaten gemäß § 33 KWahlG zu einer Vergrößerung der Sitzzahl des Rates, nähmen daher alle Parteien und Wählergruppen, für die eine Reserveliste zugelassen sei, an der Berechnung zur Sitzverteilung teil. 2
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts richtet sich die von diesem zugelassene und rechtzeitig begründete Berufung der Beklagten, mit der sie im Wesentlichen vorträgt: Die mit der Klage angegriffene Feststellung des Wahlergebnisses sei rechtmäßig erfolgt. Rechtsgrundlage hierfür sei § 61 Abs. 5 KWahlO, der in § 51 KWahlG eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage habe. Die Vorschrift des § 61 Abs. 5 KWahlO stehe auch mit dem Parlamentsvorbehalt in Einklang. Durch sie werde lediglich § 33 Abs. 3 KWahlG, der den Verhältnisausgleich bei Überhangmandaten regele, widerspruchsfrei konkretisiert. Dies ergebe sich aus der Gesetzessystematik, aus dem Gesetzeswortlaut und auch aus der Normhistorie. Zudem verstoße das in der erstinstanzlichen Entscheidung deutlich gewordene Normverständnis gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl. 3
Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt im Wesentlichen das angegriffene Urteil und betont noch einmal, dass es der mit § 33 Abs. 3 KWahlG nicht im Einklang stehenden Vorschrift des § 61 Abs. 5 KWahlO zudem an einer sie tragenden Ermächtigungsgrundlage mangele. Mit Schriftsatz vom 22. März 2011 legt der Kläger noch einmal vertiefend dar, dass aus der Auslegung des § 33 KWahlG folge, dass die F1 im Rahmen des Verhältnisausgleichs zu berücksichtigen sei. 6
Die Beigeladene stellt keinen Antrag. 7
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der dazu beigezogenen Unterlagen Bezug genommen. 8

II.

Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einstimmig durch Beschluss. Es bedarf entgegen der Auffassung des Klägers nach bereits im erstinstanzlichen Verfahren durchgeführter mündlicher Verhandlung keiner weiteren mündlichen Verhandlung, da ausschließlich Rechtsfragen im Streit stehen, zu denen die Beteiligten schriftsätzlich ausführlich vorgetragen haben. 9
Die Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klage ist nämlich nicht begründet. Die Ablehnung des Beklagten, die Feststellung des Ergebnisses der Wahl zum Rat der Stadt B vom September 2009 für ungültig zu erklären und eine Neufeststellung anzuordnen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die vorgenannte Erklärung und Anordnung des Beklagten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). 10
Eine neue Feststellung des Wahlergebnisses war nicht anzuordnen. Gegen die erfolgte Zuteilung der Sitze gemäß § 33 Abs. 2 und 3 KWahlG i. V. m. § 61 Abs. 5 KWahlO ist rechtlich nichts zu erinnern. Namentlich ist der F1 zu Recht kein Sitz im Rat der Stadt B zugeteilt worden. Sie war als bei der ersten Sitzzuteilung nach § 33 Abs. 2 KWahlG erfolglose Wählergruppe beim hier nach § 33 Abs. 3 KWahlG vorzunehmenden Verhältnisausgleich nicht zu berücksichtigen. Das besagt § 61 Abs. 5 KWahlO ausdrücklich. Diese Regelung ist auch rechtswirksam: 11
Die Vorschrift des § 61 Abs. 5 KWahlO konkretisiert „lediglich“ die Bestimmungen des § 33 Abs. 3 KWahlG und steht mit diesen auch inhaltlich voll im Einklang (dazu sogleich). Vor diesem Hintergrund findet § 61 Abs. 5 KWahlO in § 51 KWahlG eine hinreichende Rechtsgrundlage. Zwar wird § 33 Abs. 3 KWahlG nicht ausdrücklich in § 51 KWahlG erwähnt. Dieser Umstand lässt letztgenannte Norm als Ermächtigungsgrundlage für § 61 Abs. 5 KWahlO aber nicht als ungeeignet erscheinen. Die Vorschrift des § 51 KWahlG trifft nämlich ausweislich des dort verwandten Wortes „insbesondere“ keine abschließende Regelung über die in der KWahlO zu erlassenen Ausführungsvorschriften zu den Bestimmungen des KWahlG. 12
Die Regelung des § 61 Abs. 5 KWahlO ist auch mit dem höherrangigen Recht des § 33 Abs. 3 KWahlG vereinbar. Sie konkretisiert ausschließlich die bereits im Gesetz angelegten Bestimmungen über den Verhältnisausgleich, führt diese also lediglich im Sinne des § 51 KWahlG aus. 13
Die Vorschrift des § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG will – soweit es bei der Wahl zu sog. Überhangmandaten einer oder mehrerer Wahlvorschlagsträger gekommen ist – einen Verhältnisausgleich zwischen den Parteien und Wählergruppen herstellen, denen nach § 33 Abs. 2 KWahlG Sitze zustehen. Im Rahmen des Verhältnisausgleichs sollen nach der gesetzlichen Konstruktion also die Parteien und Wählergruppen unberücksichtigt bleiben, die bei der Sitzzuteilung gemäß § 33 Abs. 2 KWahlG erfolglos geblieben sind. Das ergibt sich aus Folgendem: 14
Die Ermittlung der letztlich zu verteilenden Sitze ist einem gestuften Prozedere unterworfen mit der Folge, dass eine Partei oder Wählergruppe, die schon auf der ersten Stufe (§ 33 Abs. 2 KWahlG) bei der Sitzzuteilung erfolglos geblieben ist, bei den ggf. nötig werdenden nachfolgenden Berechnungen unberücksichtigt bleibt. Der Absatz 2 des § 33 KWahlG regelt dabei mit Blick auf seine Stellung im Gefüge der Norm das rechnerische Grundverfahren für die Zuteilung der Sitze in der Kommunalvertretung. Hierauf bauen die anderen, in den nachfolgenden Absätzen angeordneten Rechenschritte systematisch und inhaltlich ersichtlich auf. Sie stehen nicht isoliert neben der Berechnung der Sitzzuteilung in § 33 Abs. 2 KWahlG, sondern haben diese zum Ausgangspunkt. Das nach § 33 Abs. 2 KWahlG gewonnene Berechnungsergebnis wird – sofern nötig – durch die nachfolgenden Regelungen fortgeschrieben. Die nach § 33 Abs. 2 KWahlG vorgenommene Sitzzuteilung bleibt also bestehen und wird zur Grundlage für ggf. nachfolgend erforderlich werdende ergänzende – Sitzverteilungsberechnungen. Dies macht auch die Wortwahl in den noch deutlicher formulierbaren Vorschriften des § 33 Abs. 2 und 3 KWahlG hinreichend erkennbar: So spricht § 33 Abs. 2 KWahlG von der „ersten Zuteilungszahl“ und § 33 Abs. 3 KWahlG, der die Berechnung der Ausgleichsmandate regelt, von der „zweiten Ausgangszahl“. Bei der Berechnung und Verteilung der Ausgleichsmandate wird also – bildlich gesprochen – nicht alles auf Null gestellt, sondern die Berechnung gemäß § 33 Abs. 3 KWahlG fügt sich an diejenige nach § 33 Abs. 2 KWahlG an. 15
Vorstehende Betrachtungsweise findet ihre Bestätigung in dem Wortlaut und der Systematik des § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG. Auch aus diesem ergibt sich, dass nach § 33 Abs. 2 KWahlG erfolglose Parteien und Wählergruppen beim Ausgleich von Überhangmandaten unberücksichtigt bleiben. So nimmt die Vorschrift in ihrem ersten Satzteil im Ergebnis ausschließlich die Parteien und Wählergruppen in den Blick, denen nach Absatz 2 Sitze zugeteilt worden sind: Gibt es Parteien oder Wählergruppen, die durch die Kombination von Verhältnis- und Personalwahlrecht mehr Sitze erhalten haben („haben … errungen“), als ihnen nach Abs. 2 „zustehen“, sind Ausgleichsmandate nach § 33 Abs. 3 KWahlG zu verteilen. Damit setzt § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG voraus, dass auf der ersten Berechnungsstufe nach § 33 Abs. 2 KWahlG alle zuzuteilenden Sitze an die nach dem anzuwendenden Sitzberechnungsverfahren erfolgreichen Wahlvorschlagsträger auch zugeteilt worden sind. Erst jetzt wird es ggf. auf der zweiten Stufe wegen entstandener Überhangmandate erforderlich, Ausgleichssitze zu verteilen. Denn die Überhangmandate lassen in der Gemeindevertretung eine – gemessen an der Sitzzuteilungsberechnung nach § 33 Abs. 2 KWahlG – unproportionale Sitzverteilung entstehen. Die Ausgleichssitze sollen damit den Proporz zwischen den auf der ersten Stufe erfolgreichen Parteien und Wählergruppen wiederherstellen. Bezugspunkt für diese Verteilung kann nach der Systematik der Regelungen in § 33 Abs. 2 und 3 KWahlG damit nur der sich aus der Berechnung gemäß § 33 Abs. 2 KWahlG ergebende Proporz zwischen den zugeteilten Sitzen sein. 16
Dieses Verständnis liegt auch dem zweiten Satzteil von § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG offensichtlich zugrunde. Danach erfolgt die vorzunehmende Sitzerhöhung, „um auch unter Berücksichtigung der erzielten Mehrsitze eine Sitzverteilung nach dem Verhältnis der Stimmenzahlen zu erreichen“. Damit unterstreicht das Gesetz, dass die bei der ersten Sitzzuteilung gemäß § 33 Abs. 2 KWahlG erfolglos gebliebenen Parteien und Wählergruppen nicht an einem ggf. erforderlich werdenden Verhältnisausgleich nach § 33 Abs. 3 KWahlG teilnehmen dürfen. Das ergibt sich letztlich aus dem im zweiten Satzteil von § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG verwandten Wort „auch“. Im Einzelnen: Die Vorschrift des § 33 Abs. 2 KWahlG dient dem Zweck, das Verhältnis der bei der Wahl für die einzelnen Wahlvorschlagsträger abgegebenen Stimmen durch die entsprechende Zuteilung der Sitze in der Gemeindevertretung abzubilden. Der Stimmenerfolg der einzelnen Wahlvorschlagsträger soll sich also proportional in der Sitzzuteilung niederschlagen. Gelingt dies etwa wegen erzielter Überhangmandate nicht, ist nach § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG eine Sitzerhöhung durchzuführen, um den sich aus der Berechnung nach § 33 Abs. 2 KWahlG ergebenden Proporz zwischen den nach vorzitierter Vorschrift erfolgreichen Wahlvorschlagsträgern wiederherzustellen. Denn an dem Proporz zwischen diesen darf sich nach der hinreichend deutlichen Aussage des § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG „auch“ unter Berücksichtigung der Überhangmandate nichts ändern. Das Gesetz bedient sich nämlich hier des Wortes „auch“ ersichtlich im Sinne eines „selbst“, und dem Wort „auch“ kann sinnvollerweise nur in Bezug auf § 33 Abs. 2 KWahlG und damit auf die nach dieser Vorschrift erfolgreichen Wahlvorschlagsträger eine Bedeutung zukommen. 17
Diese Interpretation von § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG macht alleine Sinn. Ausgleichssitze sind Zusatzsitze. Mit ihrer Verteilung soll sichergestellt werden, dass das Verhältnis der (gewonnenen) Sitze der einzelnen Parteien und Wählergruppen (einschließlich der Überhangmandate) dem Verhältnis der für die einzelnen Wahlvorschlagsträger abgegebenen Stimmen entspricht, so dass sich die politischen Gewichte durch das Entstehen von Überhangmandaten nicht verändern. 18
Vgl. Schreiber, BWahlG, 8. Auflage, Köln 2009, § 6 Rn. 29.
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Es soll ein den Stimmzahlen entsprechendes Verhältnis der in die Gemeindevertretung eingezogenen, bei der Sitzzuteilung also erfolgreichen Parteien und Wählergruppen vorgenommen werden. Zwischen ihnen soll es durch die entstandenen Überhangmandate nicht zu einer Unwucht der Sitzverhältnisse in der Vertretung kommen. Demgemäß spricht § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG auch richtig nicht von Sitzzuteilung – wie es in § 33 Abs. 2 KWahlG der Fall ist –, sondern von Sitzverteilung zum Zwecke des Verhältnisausgleichs. Auch durch diesen differenzierenden Wortgebrauch in § 33 Abs. 2 KWahlG einerseits und § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG andererseits unterstreicht das Gesetz, dass es ihm bei der Anwendung letztgenannter Norm um diejenigen Parteien und Wählergruppen geht, denen rechnerisch bereits ein Sitz zugeteilt worden ist. Es geht letztlich darum, die nach § 33 Abs. 2 KWahlG ermittelte Sitzzuteilung spiegelbildlich im durch die Ausgleichsmandate vergrößerten Gremium abzubilden. Dafür ist eine Sitzneuzuteilung unter Berücksichtigung bisher nicht erfolgreicher Wahlvorschlagsträger nicht erforderlich. Hierzu bedarf es „lediglich“ einer schlichten Aufstockung der Ratssitze der durch Überhangmandate proportional benachteiligten Parteien und Wählergruppen. 20
Das oben beschriebene Normverständnis wird durch § 3 Abs. 3 KWahlG gestützt. Danach werden weitere Vertreter aus den Reservelisten gewählt, soweit dies zur Durchführung des Verhältnisausgleichs nach § 33 KWahlG erforderlich ist. Dadurch, dass „lediglich“ weitere Vertreter ggf. zu wählen sind, wird deutlich, dass die bereits (nach § 33 Abs. 2 KWahlG) gewählten Vertreter von dem vorzunehmenden Verhältnisausgleich nicht berührt werden sollen. Sie sind gesetzt. Berücksichtigte man aber bei der Ausgleichsberechnung nach § 33 Abs. 3 KWahlG eine Gruppierung, der nach der Berechnung gemäß § 33 Abs. 2 KWahlG kein Sitz zugestanden hat, könnte sie ggf. erstmals einen Sitz gewinnen. Daraus kann u. U. der Sitzverlust einer anderen Gruppierung resultieren. 21
Vgl. die Antwort der Landesregierung vom 15. Oktober 2009 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Becker vom 14. September 2009, LT-Drs. 14/9996, S. 3; von dieser Möglichkeit ging ausweislich des Tatbestandes des angegriffenen Urteils auch das Verwaltungsgericht bei der Beiladung aus, vgl. Urteilsabdruck, S. 5. 22
Im Ergebnis würden damit entgegen § 3 Abs. 3 KWahlG u. U. nicht nur „weitere Vertreter“ aus den Reservelisten gewählt. 23
Bezöge man bei der Ausgleichsberechnung nach § 33 Abs. 3 KWahlG eine Gruppierung ein, der nach der Berechnung gemäß § 33 Abs. 2 KWahlG kein Sitz zugestanden hat, bestünden im Übrigen erhebliche Bedenken im Hinblick auf das Erfordernis der Erfolgschancengleichheit der Stimmen, dem für die Zuteilung der Sitze in den Volksvertretungen eine zentrale Bedeutung zukommt. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Forderung, dass die Stimme jedes Wahlberechtigten neben dem gleichen Zählwert die gleiche rechtliche Erfolgschance besitzen muss, dass also jede Stimme von der Wertigkeit her gleich ist. 24
Schreiber, a. a. O., § 1 Rn. 43 und 55.
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Letzteres wäre hier bei einer Einbeziehung der nach § 33 Abs. 2 KWahlG erfolglos gebliebenen Wahlvorschlagsträger in die Ausgleichsmandatsberechnung allerdings gefährdet: 26
Berücksichtigte man sie bei der Berechnung nach § 33 Abs. 3 KWahlG, könnte dies wie ausgeführt – dazu führen, dass eine auf der ersten Stufe der Sitzzuteilung erfolglos gebliebene Partei oder Wählergruppe auf der zweiten Stufe einen Sitz erstmals erhielte, sie also im Vergleich zu den anderen bei der Sitzzuteilung nach § 33 Abs. 2 KWahlG ebenfalls erfolglos gebliebenen Parteien und Wählgruppen jetzt besser abschneiden würde, obwohl sie alle die Voraussetzungen für die Zuteilung eines ersten Sitzes gleichermaßen nicht erfüllt hatten. Die Stimmen für die zunächst sämtlich bei der Berechnung nach § 33 Abs. 2 KWahlG erfolglos gebliebenen Wahlvorschlagsträger würden so im Nachhinein ungleich gewertet. 27
Ein Anderes kommt hinzu: Als mögliche Folge des Sitzgewinns einer zunächst bei der Sitzverteilung nach § 33 Abs. 2 KWahlG erfolglos gebliebenen Gruppierung könnte eine andere Gruppierung, der nach der Ausgangsberechnung ein oder mehrere Sitze zustanden, u. U. einen Sitz verlieren (vgl. bereits oben). Deren Stimmen würden nachträglich abgewertet, während die Stimmen der erstgenannten Gruppierung aufgewertet würden. Auch dies wäre mit dem Grundsatz der Erfolgschancengleichheit nicht zu vereinbaren. 28
Das vorstehende Normverständnis von § 33 Abs. 2 und 3 KWahlG zeitigt auch keine Sperrklauselwirkung. Dass Parteien und Wählergruppen, welche im ersten Sitzzuteilungsverfahren nach § 33 Abs. 2 KWahlG nicht die Mindestsitzzahl von 0,5 erreicht haben, bei der Sitzzuteilung unberücksichtigt bleiben, beruht allein auf der Anwendung des Sitzverteilungsberechnungsverfahrens nach Sainte-Lague/Schepers, gegen das in seiner hier erfolgten „Reinanwendung“ verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen. 29
Vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08 –, NVwZ-RR 2009, 449 ff.
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Mit Blick auf vorstehende Ausführungen stellt sich der Verweis in § 33 Abs. 3 Satz 2 KWahlG auf die vorzunehmende Multiplikation mit der Gesamtstimmenzahl nach § 33 Abs. 1 KWahlG lediglich als ein im Rahmen des Verhältnisausgleichs zu berücksichtigender Berechnungsparameter dar, der für die hier entscheidende Frage, welche Gruppierung an der Sitzverteilung auf der zweiten Stufe teilnimmt, nichts hergibt. 31
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 GKG. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre rechtlichen Grundlagen in § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. 32
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. 33
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG. 34

 


Matthias Cantow