Landesverfassungsgericht |
[Wahlprüfung] |
Leitsätze: |
|
1. Politische Parteien können als „andere Beteiligte“, die durch die Verfassung mit eigenen Rechten ausgestattet worden sind, eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung des ihnen verliehenen verfassungsrechtlichen Status durch ein Verfassungsorgan im Wege der Organstreitigkeit vor dem Landesverfassungsgericht geltend machen. | LS 1 |
2. Zum verfassungsrechtlichen Status einer Partei gehören gleiche Wettbewerbschancen bei Wahlen unter Einschluß der Kommunalwahlen. Sieht sich eine politische Partei durch das Verhalten eines Verfassungsorgans in diesem Status beeinträchtigt, so kämpft sie auch insoweit um ihr Recht auf Teilhabe am Verfassungsleben. | LS 2 |
3. Gesetzgeberisches Unterlassen (hier: Unterbleiben der Überprüfung der 5 %-Sperrklausel im Kommunalwahlgesetz Mecklenburg-Vorpommern) kann ein zulässiger Streitgegenstand im Organstreitverfahren sein. | LS 3 |
4. Dem Gesetzgeber ist bei Regelungen, welche die politische Willensbildung des Volkes berühren, jede unterschiedliche Behandlung von politischen Parteien, durch die deren Chancengleichheit bei Wahlen verändert werden kann, von Verfassungs wegen versagt, sofern sie sich nicht durch einen zwingenden Grund rechtfertigen läßt. | LS 4 |
5. Bei der Einschätzung und Bewertung von Umständen, die auf eine mögliche Gefährdung der Funktionsfähigkeit einer Kommunalvertretung hindeuten, hat sich der Gesetzgeber – unbeschadet seiner Freiheit zur näheren Ausgestaltung von Wahlsystem und Wahl verfahren – an der politischen Wirklichkeit zu orientieren; hierbei ist auf die konkrete, durch tatsächliche Anhaltspunkte gestützte und mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Möglichkeit der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Vertretungen abzustellen. | LS 5 |
|
|
des Landesverfassungsgerichtes Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Dezember 2000 | |
– LVerfG 4/99 – | |
in dem Organstreitverfahren |
|
der Partei Bündnis 90/Die Grünen |
|
– Antragstellerin – | |
Prozeßbevollmächtigte: | |
Rechtsanwälte |
|
gegen | |
den Landtag Mecklenburg-Vorpommern, |
|
– Antragsgegner – | |
Prozeßbevollmächtigter: | |
Prof. Dr. Albert von Mutius, |
|
![]() |
|
durch den Präsidenten Dr. Hückstädt, den Vizepräsidenten Wolf, den Richter Häfner, den Richter Dr. Schneider, die Richterin Steding, den Richter von der Wense und den Richter Prof. Dr. Wallerath |
|
auf Grund der mündlichen Verhandlung vom | |
10. Oktober 2000 | |
für Recht erkannt: | |
Entscheidungsformel: |
|
Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern hat gegen Art. 3 Abs. 3 und 4 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern dadurch verstoßen, daß er es unterlassen hat, die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der 5 %-Klausel in § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz Kommunalwahlgesetz Mecklenburg-Vorpommern vom 26. November 1993 – KWG M-V – (GVOBl. S. 938) vor der Kommunalwahl 1999 zu überprüfen. | |
Die Entscheidung ergeht kostenfrei. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat drei Viertel der der Antragstellerin entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten. | |
|
|
A. |
|
Die Antragstellerin wendet sich dagegen, daß der Antragsgegner es unterlassen habe, die ihrer Ansicht nach aufgrund von Änderungen des Kommunal(wahl)rechts verfassungswidrig gewordene 5 %-Sperrklausel im Kommunalwahlgesetz Mecklenburg-Vorpommern zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben oder zu ändern. | 1 |
I. |
|
1. Die 5 %-Sperrklausel, die Parteien und Wählergruppen, nicht aber Einzelbewerber von einer Berücksichtigung bei der Sitzverteilung ausschließt, ist in § 37 Abs. 2 Satz 1 Kommunalwahlgesetz Mecklenburg-Vorpommern vom 26. November 1993 – KWG M-V (Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Mecklenburg-Vorpommern [GVOBl.] 1993, S. 938) geregelt. Die Bestimmung lautet: | 2 |
„Die im Wahlgebiet zu vergebenden Sitze werden nach den folgenden Sätzen 2 bis 5 auf die Wahlvorschläge verteilt, wobei bei der Berechnung der Sitzverteilung die für eine Partei oder Wählergruppe abgegebenen Stimmen unberücksichtigt bleiben, wenn sie weniger als 5 vom Hundert der Gesamtzahl der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen betragen.“ |
3 |
Zuvor hatte das Gesetz über die Wahlen zu Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen, Stadtbezirksversammlungen und Gemeindevertretungen vom 6. März 1990 (GBl. I 1990, S. 99) – Kommunalwahlgesetz DDR – gegolten, aufgrund dessen die ersten Gemeindevertretungen nach der ebenfalls im Jahre 1990 neu beschlossenen Kommunal Verfassung DDR (Ges. vom 17. Mai 1990 – GBl. I 1990, S. 255) gebildet wurden. Dieses Gesetz enthielt keine Sperrklausel, sah allerdings ein Unterschriftenquorum für Einzelbewerber in Höhe von 5 %, jedoch nicht mehr als 200 Unterschriften, vor. | 4 |
Bei der Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für das Kommunalwahlgesetz im Innenausschuß
(vgl. Bericht des Abgeordneten Bollinger, LT-Drs. 1/3764 vom 3. November 1993, S. 5, 15) hatten ![]() |
5 |
2. Die 5 %-Sperrklausel ist bei Novellierungen des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalverfassung in der Folgezeit beibehalten worden. Das galt zunächst für die Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger durch das Erste Gesetz zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 18. Dezember 1995 (GVOBl. S. 651), sowie für das Zweite Gesetz zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften (2. WRÄndG) vom 28. Oktober 1997 (GVOBl. S. 546). Anträge der Fraktion der PDS, die Sperrklausel zu streichen (LT-Drs. 2/737 und 2/3197-neu), fanden wiederum keine Mehrheit. Die Abgeordnete Jünger hatte hierzu in der 2. Lesung des Gesetzentwurfs zum 2. WRÄndG (der noch unter der Bezeichnung „Entwurf des Ersten Gesetzes zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften [1. WRÄndG]“ eingebracht worden war), u. a. ausgeführt: „Wir lehnen weiterhin die 5 %-Sperrklausel in den Wahlgesetzen ab. Sperrklauseln stellen einen sehr willkürlichen Eingriff in die Wahlrechte und Mitbestimmungsrechte von Wählerinnen und Wählern dar. Sie sind als Instrument einer demokratischen Auseinandersetzung um Minderheiten völlig ungeeignet“ (Sitzung vom 22. Oktober 1997, LT-Prot. 2/69, S. 4280, 4282). | 6 |
In dem Verfahren zum Erlaß des am 29. November 1997 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung
kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte
(Ges. vom 26. November 1997 – GVOBl. S. 694) kam die 5 %-Sperrklausel nicht zur Sprache. Dieses
Gesetz sah erstmals die Direktwahl von hauptamtlichen Bürgermeistern und Landräten in ![]() |
7 |
Im Gesetzgebungsverfahren zur Herabsetzung des aktiven Wahlalters von 18 auf 16 Jahre durch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes vom 3. März 1999 (GVOBl. S. 212) machte der Innenausschuß des Landtages den Wegfall der 5 %-Sperrklausel zum Gegenstand einer öffentlichen Anhörung (LT-Drs. 3/214 vom 24. Februar 1999). Er empfahl dem Landtagsplenum aber keine entsprechende Änderung. Während der 3. Lesung des Gesetzentwurfes nahmen mehrere Redner zur Frage des Wegfalls der 5 %-Klausel Stellung. In der Landtagsdebatte am 3. März 1999 führte Innenminister Dr. Timm (LT-Prot. 3/10, S. 399, 400) aus, die Umstellung der Wahl der Bürgermeister und Landräte erfolge erst ab dem Jahre 2001, so daß es erforderlich sei, „daß sich der Landtag zu gegebener Zeit, und zwar ausführlich und gründlich, mit dieser Frage befaßt und sicherlich auch befassen wird“; das sei allerdings vor der Kommunalwahl nicht möglich und nicht notwendig, weil das Problem erst nach dem Jahre 2001 anstehe. | 8 |
II. |
|
Die Antragstellerin hat das vorliegende Organstreitverfahren am 9. April 1999 eingeleitet. | 9 |
1. Zur Zulässigkeit macht sie geltend, als politische Partei sei sie über Art. 21 GG und
Art. 5 Abs. 3 LV durch die Verfassung mit eigenen Rechten ausgestattet und daher im Organstreitverfahren
beteiligtenfähig. Sie rüge die Verletzung der verfassungsrechtlich verbürgten Rechte auf gleiche Wahlen
(Art. 21, 28 Abs. 1 Satz 2 GG iVm. Art. 5 Abs. 3 LV) und das daraus abzuleitende Recht auf den
gleichen Erfolgswert jeder Stimme sowie auf Chancengleichheit politischer Parteien (Art. 3, 21 GG iVm.
Art. 5 Abs. 3 LV). Der ![]() |
10 |
2. Zur Begründetheit trägt die Antragstellerin – teilweise unter Bezugnahme auf die Antragsschrift im Verfassungsbeschwerdeverfahren LVerfG 3/99 – vor, die in § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz KWG M-V enthaltene 5 %-Sperrklausel verstoße gegen den Grundsatz der gleichen Wahl sowie gegen den Grundsatz der Chancengleichheit. Sperrklauseln bedürften wegen ihrer den Erfolgswert abgegebener Wählerstimmen unterschiedlich gewichtenden Wirkung zu ihrer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines zwingenden Grundes. Ein solcher sei nicht vorhanden. Sperrklauseln dienten unter den Bedingungen des Verhältniswahlrechts der Bildung klarer Mehrheitsverhältnisse in der zu wählenden Volksvertretung, indem Splitterparteien von der Sitzzuteilung ausgeschlossen würden. Die derzeitige Situation in denjenigen Kommunen des Landes, in denen die Zahl der Gemeindevertreter mehr als 20 betrage und in denen deshalb für die Zuteilung eines Sitzes weniger als 5 % der Stimmen erforderlich seien, sei bereits jetzt geprägt von kleineren Fraktionen, Wählergruppen und Einzelbewerbern. | 11 |
Insgesamt würde sich die Zusammensetzung der Kommunalvertretungen nach einer Abschaffung der 5
%-Sperrklausel im Rahmen dessen bewegen, was bereits derzeit vorzufinden sei, nämlich eine Situation, in der sich
mehrere Gruppen zusammenfinden müßten, um eine Mehrheit zu erreichen. Auskünfte von Kreisen, Gemeinden sowie des
Städte- und Gemeindetages ließen keine Schwierigkeiten im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit der Verwaltungen
befürchten, „Problemfälle“ seien nicht bekannt geworden. Aus Ländern, in denen das Kommunalwahlrecht keine 5
%-Sperrklausel kenne, seien ebenfalls keine Schwierigkeiten namhaft gemacht worden. Der geänderte Aufgabenkreis der
Kommunalvertretungen rechtfertige zudem die 5 %-Sperrklausel nicht mehr. Den Vertretungen sei die wichtige ![]() |
12 |
Nach teilweiser Rücknahme ihres Antrags, der sich zunächst auch gegen die Landesregierung und den Innenausschuß des Landtages sowie inhaltlich in erster Linie auf eine Streichung der Sperrklausel gerichtet hat, beantragt die Antragstellerin nunmehr, | 13 |
festzustellen, daß der Antragsgegner die der Antragstellerin zustehenden, in der Landesverfassung verbürgten Rechte auf gleiche Wahlen sowie auf Chancengleichheit der politischen Parteien verletzt oder unmittelbar gefährdet hat, indem er es unterlassen hat, die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der 5 %-Klausel in § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz KWG M-V rechtzeitig vor der Kommunalwahl 1999 zu überprüfen. |
14 |
III. |
|
Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern als Antragsgegner hat sich mit Schriftsatz vom 28. Juli 1999 dahingehend geäußert, eine Stellungnahme ausschließlich zur Zulässigkeit des Verfahrens abgeben zu wollen. Hierzu hat er mit Schriftsatz vom 29. September 2000 näher ausgeführt: | 15 |
Der Antragstellerin fehle die Antragsbefugnis. Diese habe nicht schlüssig begründet, inwieweit der
vermeintlichen Pflichtverletzung ![]() |
16 |
Die Voraussetzungen der vom Bundesverfassungsgericht insoweit anerkannten Ausnahmen seien vorliegend nicht gegeben. Die Antragstellerin könne sich weder auf einen ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Auftrag berufen, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen umgrenze, noch gehe es um grundrechtliche Schutzpflichten des Staates. Auch fehle es an einer subjektiv-rechtlich durchsetzbaren gesetzgeberischen Nachbesserungspflicht. Diese komme (nur) in Betracht, wenn bei Erlaß des Gesetzes dessen Auswirkungen ungewiß gewesen seien und sich bei einer später zeigenden Fehlerprognose eine Korrektur der ursprünglich als verfassungskonform angesehenen Regelung aufdränge. Dabei sei der Maßstab der „Evidenz“ entscheidend; nur wenn dieser erfüllt sei, könne sich der dem parlamentarischen Gesetzgeber verbleibende Prognose- und Gestaltungsspielraum zu einer Handlungspflicht (mit welchen Modalitäten auch immer) verdichten. Indes gebe es seit dem Inkrafttreten des Kommunalwahlgesetzes weder neue noch evidente Erkenntnisse oder Umstände, die eine verfassungsrechtliche Neubewertung des § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz KWG M-V zwingend geböten. | 17 |
Die von der Antragstellerin als Grund oder Anlaß für eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers
reklamierte Einführung der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte im Gesetz vom 26. November 1997 betreffe
nur die Vermittlung einer ![]() |
18 |
Schließlich sei der gestellte Antrag wegen Verfristung unzulässig. Im Interesse einer sicheren Feststellbarkeit des Fristbeginns sei als Anknüpfungspunkt ein objektiv faßbares, hinreichend deutliches Verhalten des handlungspflichtigen Organs erforderlich. Danach habe die Frist bereits am 29. November 1997, dem Tage des Inkrafttretens des Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte, zu laufen begonnen. Bereits aufgrund der Ermächtigung in Art. 4 § 1 dieses Gesetzes habe der Landtag eindeutig zu erkennen gegeben, daß er mit dieser Novelle die nächsten im Jahre 1999 anstehenden Kommunalwahlen abschließend habe regeln wollen. Dies gelte jedenfalls auch für die in § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz KWG M-V enthaltene 5 %-Klausel. Denn bereits am 31. Oktober 1997 sei das Zweite Gesetz zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 28. Oktober 1997 in Kraft getreten; im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens sei aufgrund eines entsprechenden Antrags der PDS-Fraktion auch über die Abschaffung der 5 %-Klausel im Landtag debattiert worden. | 19 |
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Ersten Gesetz zur Änderung, des Kommunalwahlgesetzes für
das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 3. März 1999. Die ab dem 29. November 1997 erkennbare Absicht des
Landtages, die Grundstrukturen des Kommunalwahlrechts für die nächsten im Jahre 1999 anstehenden Kommunalwahlen
nicht mehr zu verändern, sei durch dieses Gesetz nicht in![]() |
20 |
IV. |
|
Namens der Landesregierung hat das Justizministerium eine Stellungnahme abgegeben: | 21 |
Der Antrag sei wegen Verfristung unzulässig. Anläßlich des Gesetzgebungsverfahrens zum Zweiten Gesetz zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 28. Oktober 1997 sei ein Antrag der Fraktion der PDS auf Aufhebung der 5 %-Sperrklausel mehrheitlich abgelehnt worden. Sodann sei am 29. November 1997 das Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte vom 27. November 1997 in Kraft getreten. Die Sechsmonatsfrist des § 36 LVerfGG sei daher bereits am 29. November 1997 in Lauf gesetzt worden. Die Diskussion über die 5 %-Sperrklausel anläßlich der Landtagssitzung am 3. März 1999 habe die Frist des § 36 Abs. 3 LVerfGG nicht erneut auslösen können. Ihr komme nur deklaratorische Bedeutung zu. Die im November 1997 erkennbare Absicht des Gesetzgebers, die Kommunalwahlen des Jahres 1999 in ihren Wesensbereichen abschließend zu regeln, sei durch die Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre durch das Erste Gesetz zur Änderung des KWG M-V vom 3. März 1999 weder in Frage gestellt noch geändert worden. Aus dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 1999 ergebe sich ebenfalls, daß nicht die Herabsetzung des Wahlalters, sondern nur die Einführung der Direktwahl die Pflicht des Gesetzgebers begründen könne, die 5 %-Sperrklausel zu überprüfen. | 22 |
![]() |
23 |
In Gemeinden bis zu 7500 Einwohnern, die insgesamt 96 % aller Gemeinden im Lande ausmachten, entfielen auf einen Sitz in der Gemeindevertretung ohnehin mehr als 5 % der Stimmen, weil dort weniger als 20 Gemeindevertreter zu wählen seien. Dies spreche für die Beibehaltung der 5 %-Klausel auch in größeren Gemeinden. | 24 |
Für die Differenzierung zwischen Einzelbewerbern einerseits und Parteien und Wählergruppen andererseits hinsichtlich der Sperrklausel schließlich gebe es sachliche Gründe. Die Abläufe in der Gemeindeverwaltung würden durch Mitwirkung kleiner Parteien und Wählergruppen eher erschwert als durch Einzelbewerber. Gemeindevertreter, die über Parteien oder Wählergruppen gewählt worden seien, würden sich eher zu Fraktionen zusammenschließen als Einzelbewerber. Fraktionen stehe aber eine Reihe von Sonderrechten zu, deren Wahrnehmung den Verwaltungsaufwand erhöhe. | 25 |
Der Gesetzgeber habe es nicht unterlassen, die Prüfung der Notwendigkeit der 5 %-Sperrklausel
vorzunehmen. Zu dieser Problematik hätten sich im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum ![]() |
26 |
B. |
|
Der zur Entscheidung gestellte Antrag ist zulässig. | 27 |
Nach Art. 53 Nr. 1 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (LV) vom 23. Mai 1993 (GVOBl. S. 371) in der Fassung vom 4. April 2000 (GVOBl. S. 158), § 11 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LVerfGG) vom 19. Juli 1994 (GVOBl. S. 734) in der Fassung vom 28. Oktober 1997 (GVOBl. S. 546) entscheidet das Landesverfassungsgericht über die Auslegung der Verfassung aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Landesorgans oder anderer Beteiligter, die durch die Verfassung oder in der Geschäftsordnung des Landtages mit eigenen Rechten ausgestattet sind. | 28 |
I. |
|
1. Die Antragstellerin ist im vorliegenden Verfahren beteiligtenfähig (§ 35 LVerfGG). Sie kann als politische Partei im Wege des Organstreits geltend machen, durch das Unterlassen der Nachprüfung der 5 %-Klausel in § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz KWG M-V in ihrem verfassungsrechtlichen Status auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein. | 29 |
![]() |
30 |
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (seit der Plenumsentscheidung vom 20.07.1954, BVerfGE 4, 27 <31>; siehe BVerfGE 6, 367 <372>; 66, 107 <115>; 73, 1 <29>; 82, 322 <335>; 84, 290 <298>; 85, 264 <284>) können politische Parteien als „andere Beteiligte“, die durch die Verfassung mit eigenen Rechten ausgestattet worden sind, eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung des ihnen verliehenen verfassungsrechtlichen Status durch ein Verfassungsorgan im Wege der Organstreitigkeiten geltend machen. Antragsteller können auch die Landesverbände der politischen Parteien sein (BVerfGE 66, 107 <115>). | 31 |
Der verfassungsrechtliche Status der politischen Parteien umfaßt namentlich das Recht auf Chancengleichheit bei der rechtlichen Gestaltung des Wahlverfahrens (siehe BVerfGE 6, 367 <371 f.>). Das gilt auch für die Geltendmachung der Gleichheit der Wettbewerbschancen bei den Gemeindewahlen (BVerfGE 6, 367 <372>). Demgegenüber sind politische Parteien nach der Rechtsprechung des BVerfG (nur) dann zur Verfassungsbeschwerde befugt, wenn sie in ihrem Recht auf Gleichbehandlung nicht durch ein Verfassungsorgan, sondern durch ein Verwaltungsorgan (im funktionellen Sinne) beeinträchtigt werden (BVerfGE 14, 121 <129>; 67, 149 <151>). | 32 |
b) Danach war für die zunächst von der Antragstellerin erhobene Verfassungsbeschwerde kein Raum. Das
Landesverfassungsgericht folgt für seinen Jurisdiktionsbereich – trotz der im Schrifttum vorgebrachten Kritik
(namentlich Kunig, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland,
Bd. 2, 1987, § 33 Rn. 84; J. Ipsen, in: Sachs [Hrsg.], GG, 2. Aufl. 1999, Art. 21
Rn. 49 ff.; Tsatsos/Morlok, Parteienrecht, 1982, S. 129 f.) – der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, nach der eine politische Partei (nur) im Organstreitverfahren vor dem Verfassungsgericht
beteiligtenfähig ist, soweit sie ![]() |
33 |
Zwar sind politische Parteien unbeschadet ihrer Anerkennung durch Art. 21 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 4 LV frei gebildete, im gesellschaftlichen Bereich wurzelnde Gruppierungen, die nicht an der inneren Staatswillensbildung beteiligt sind und denen deshalb auch nicht die Eigenschaft „oberster Landesorgane“ zukommt (BVerfGE 20, 56 <101>). Indessen messen Grundgesetz und Landesverfassung den Parteien insoweit eine besondere Funktion im Verfassungsleben bei, als diese politische Impulse aufzunehmen, zu Alternativen zu formen, bei der Konstituierung der Parlamente durch Wahlen mitzuwirken und die verschiedenen politischen Positionen auch zwischen den Wahlen gegenüber den Staatsorganen zur Geltung zu bringen haben (BVerfGE 85, 264 <286>; Kunig a.a.O. § 33 Rn. 82; Tsatsos/Morlok a.a.O. S. 127). Diese Funktionszuweisung liegt zugleich im Interesse des auf Repräsentation bauenden staatlichen Entscheidungssystems (BVerfGE 1, 351 <359>; E. Klein, Verfassungsprozeßrecht, AöR 108 [1983] S. 561, 563). Ihr entsprechen die besonderen Anforderungen, die das Grundgesetz an die innere Ordnung der politischen Parteien stellt, wie auch der spezifische Schutz, der in Art. 21 Abs. 3 GG seinen Ausdruck findet. Der daraus folgende besondere Status gründet, wie die systematische Stellung von Art. 21 GG und Art. 3 Abs. 4 LV in der Verfassung bestätigt, jedenfalls nicht allein in grundrechtlichen Freiheiten, sondern legt offen, daß die politischen Parteien in den organisatorischen Verfassungsrechtskreis mit eingewoben sind (vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 63 V 4 b [S. 383]). | 34 |
Angesichts des eigenständigen Auftrages, den die politischen Parteien im Schnittfeld zwischen Staat und
Gesellschaft wahrnehmen, ist das Organstreitverfahren die angemessenere verfassungsgerichtliche Rechtsschutzform zur
Verteidigung des durch Art. 3 Abs. 4 LV verliehenen verfassungsrechtlichen Status der politischen Parteien
gegenüber einer möglichen Beeinträchtigung durch Verfassungsorgane (im Ergebnis ebenso BbgVerfG, LVerfGE 3, 135,
139;
![]() |
35 |
Letztlich ist die Frage, ob politische Parteien durch die Zuerkennung der, Beteiligtenfähigkeit im Organstreitverfahren und damit in verfassungsprozessualer Hinsicht auf die Ebene oberster Landesorgane gehoben werden, eine durch Art. 53 Nr. 1 LV rechtlich vorgezeichnete Wertungsfrage. Die sich auf der Ebene der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit stellende, verschiedentlich herausgestellte Problematik (vgl. etwa Ipsen a.a.O. Art. 21 Rn. 47 ff.; Henke, NVwZ 1985, S. 616, 619) unterschiedlicher Kreise von Antragsberechtigten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG und § 63 BVerfGG stellt sich auf der Ebene der Landesverfassungsgerichtsbarkeit Mecklenburg-Vorpommern nicht: § 35 LVerfGG bezieht sich auf § 11 Abs. 1 Nr. 1 LVerfGG. Dieser wiederholt – soweit hier von Belang – wörtlich Art. 53 Nr. 1 LV. Landesverfassungsgerichtsgesetz und Landesverfassung benennen damit den Kreis der in einem Organstreit Beteiligtenfähigen übereinstimmend unter Einschluß „anderer Beteiligter“, die durch die Verfassung (oder in der Geschäftsordnung des Landtages) mit eigenen Rechten ausgestattet sind. | 36 |
c) Die Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerin ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich
vorliegend um den Streit über ein Verhalten des Antragsgegners handelt, das die normativen Voraussetzungen einer
Kommunalwahl betrifft. Die Antragstellerin macht eine Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status durch die am
Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe bei der näheren Ausgestaltung des Wahlverfahrens zur Kommunalwahl geltend.
Auch hierfür ist das Organstreitverfahren die geeignete Verfahrensart (ebenso BVerfGE
6, 367 <371 f.>; 13, 1 <9 f.>; VerfGH NW, DVBl. 1995, S. 153,![]() |
37 |
Durch Stellungnahmen zu kommunalpolitischen Fragen kann eine politische Partei „unter Umständen Wählerschichten für sich gewinnen, die ihr dann auch bei Bundestags- und Landtagswahlen treu bleiben – und umgekehrt“ (BVerfGE 6, 367 <373>). Zum verfassungsrechtlichen Status einer Landespartei gehören deshalb gleiche Wettbewerbschancen auf allen Ebenen, auch auf der kommunalen. Sieht sich eine politische Partei durch das Verhalten eines Verfassungsorgans in diesem Status beeinträchtigt, so kämpft sie auch insoweit um ihr Recht auf Teilhabe am Verfassungsleben. | 38 |
2. Der Landtag ist als oberstes Landesorgan gemäß §§ 11 Abs. 1 Nr. 1, 35 LVerfGG möglicher Antragsgegner. | 39 |
II. |
|
Gegenstand des Organstreits kann nach Art. 53 Nr. 1 LV, § 36 Abs. 1 LVerfGG eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners sein, welche die Antragstellerin in ihren durch die Landesverfassung übertragenen Rechten oder Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet. | 40 |
![]() |
41 |
Sie rügt damit der Sache nach ein Unterlassen des Gesetzgebers (hierzu BVerfGE 56, 54 <71 f.>; 92, 80 <87>). Zwar hat der Gesetzgeber mit dem Erlaß des § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz KWG M-V (5 %-Sperrklausel) eine explizite Entscheidung über die 5 %-Klausel getroffen. Dennoch ist die Antragstellerin nicht darauf zu verweisen, sie hätte gegen diese Norm als Maßnahme des Antragsgegners – mit der Folge der Versäumnis der Frist des § 36 Abs. 3 LVerfGG – vorgehen können. Eine besondere Fallgruppe gesetzgeberischen Unterlassens stellt nämlich die Verletzung einer „gesetzgeberischen Nachbesserungspflicht“ dar. Wird gerügt, daß eine bestimmte Regelung aufgrund geänderter Umstände in die Rechte des Antragstellers eingreife und deshalb der Nachbesserung bedürfe, geht es einerseits um einen gegebenenfalls verfassungswidrig gewordenen Gesetzgebungsakt, was nach den vorstehend genannten Kriterien dem Angriff auf ein gesetzgeberisches Tun entspricht. Andererseits ist der Streitgegenstand mit dem bei der Rüge anfänglicher Verfassungswidrigkeit der Maßnahme (Normsetzung) jedoch nicht identisch, sondern unterscheidet sich von diesem in seiner zeitlichen Dimension. | 42 |
Vorliegend beanstandet die Antragstellerin nicht den Erlaß einer ihre Rechte verletzenden Norm und damit eine „Maßnahme“ im Sinne des § 36 Abs. 1 LVerfGG, sondern das Unterlassen ihrer Überprüfung und Anpassung an später veränderte Umstände; sie stellt ausdrücklich auf die sich im Lauf der Zeit geänderte Sach- und Rechtslage ab. Diese bewirke nunmehr, daß sie durch das geltende Recht, konkret die 5 %-Sperrklausel, in ihren Rechten verletzt werde. | 43 |
![]() |
44 |
2. Im Organstreitverfahren kann auch gesetzgeberisches Unterlassen ein zulässiger Streitgegenstand sein. Das Bundesverfassungsgericht hat bislang allerdings im Organstreitverfahren – anders als im Verfassungsbeschwerdeverfahren (siehe BVerfGE 56, 54 <70 f.>; insoweit einschränkend BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1998, S. 3264 ff.) – lediglich eine Rüge, die auf ein nicht legislatives Unterlassen gerichtet war, als zulässigen Streitgegenstand anerkannt (siehe etwa BVerfGE 4, 250 <269 f.>; 45, 1 <28>; 68, 1 <66>; 71, 299 <303 ff.>). Dagegen hat es ausdrücklich offen gelassen, „ob bloße Unterlassungen des Gesetzgebers im Wege des Organstreitverfahrens (überhaupt) angreifbar sind“ (BVerfGE 92, 80 <87>). Das Landesverfassungsgericht bejaht dies für seinen Zuständigkeitsbereich. Daß der Erlaß eines Gesetzes eine „Maßnahme“ im Sinne des § 36 Abs. 1 LVerfGG sein kann, hat das Landesverfassungsgericht bereits – in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 80, 188 <209>) entschieden (Urt. vom 11.07.1996, LVerfG 1/96, LVerfGE 5, 203, 217 = LKV 1997, S. 94, 95). § 36 LVerfGG stellt der Maßnahme ein „Unterlassen“ des Antragsgegners gleich; ein gesetzgeberisches Unterlassen ist hiervon nicht ausgenommen (so auch VerfGH NW, DVBl. 1995, S. 153; NWVBl. 1996, S. 58). | 45 |
Durchschlagende Bedenken hiergegen – etwa aus dem Prinzip der Gewaltenteilung – bestehen nicht. Zwar
sind der rechtsprechenden Gewalt nach diesem Prinzip u. a. Grenzen gegenüber dem zur ![]() |
46 |
III. |
|
Die Antragstellerin ist gemäß § 36 Abs. 1 LVerfGG antragsbefugt. | 47 |
1. Nach § 36 Abs. 1 LVerfGG ist für die Zulässigkeit des Antrages erforderlich, daß der Antragsteller eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung seiner ihm durch die Landesverfassung übertragenen Rechte oder Pflichten bzw. solcher des Organs, dem er angehört, geltend macht. Das bedeutet, daß er tatsächliche Behauptungen substantiiert vortragen muß, die – ihre Richtigkeit unterstellt – eine Rechts- oder Pflichtenverletzung bzw. eine unmittelbare Rechts- oder Pflichtengefährdung durch ein Verhalten des Antragsgegners möglich erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 2, 143 <168>; 21, 312 <319>; 80, 188 <209>). § 36 Abs. 1 LVerfGG setzt der Maßnahme, also einem positiven Tun, die Unterlassung gleich. Wie sonst in der deutschen Rechtsordnung gilt auch hier, daß für die Gleichsetzung von positivem Tun und Unterlassen, eine – hier verfassungsrechtliche – Rechtspflicht zum Handeln besteht (vgl. BVerfGE 96, 264 <277>; Stern, in: Kommentar zum Bonner GG, Art. 93 Rn. 177). | 48 |
![]() |
49 |
a) Dieses Vorbringen läßt eine Verletzung bzw. unmittelbare Gefährdung des sich aus Art. 3 Abs. 3 und 4 LV ergebenden Rechts der Antragstellerin auf Wahlrechts- und Chancengleichheit infolge einer unterlassenen Rechtspflicht des Landtages zum Handeln möglich erscheinen. | 50 |
Eine solche Rechtspflicht kann sich daraus ergeben, daß der Landtag als Wahlgesetzgeber veränderte Umstände vorgefunden hat, denen durch eine Änderung des Gesetzes Rechnung getragen werden muß (BVerfGE 82, 322 <338 f.>). Aus den Grundsätzen der Gleichheit der Wahl und der Chancengleichheit der politischen Parteien im Wettbewerb folgt die Pflicht des Gesetzgebers, eine bei ihrem Erlaß verfassungsmäßige Sperrklausel darauf unter Kontrolle zu halten, ob sich die Verhältnisse, die sie gerechtfertigt haben, in erheblicher Weise geändert haben (VerfGH NW, DVBl. 1995, S. 153 <155 f.>). | 51 |
Die die Rechtspflicht zum Handeln begründenden besonderen Umstände hat die Antragstellerin hinreichend
substantiiert behauptet, indem sie vorgetragen hat, mit der Einführung der Direktwahl der Bürgermeister und
Landräte sei das Kompetenzgefüge zwischen den kommunalen Organen erheblich verändert worden. Es ist nicht von ![]() |
52 |
b) Mit ihrer Behauptung, das Unterlassen der Nachprüfung, Aufhebung oder Abmilderung der Sperrklausel beeinträchtige sie in ihrem Recht auf Chancen- und Wahlrechtsgleichheit, macht die Antragstellerin eine (bereits eingetretene) eigene Rechtsverletzung geltend. | 53 |
Fehlt es, wie die Antragstellerin vorbringt, an einer weiteren Legitimation für die Aufrechterhaltung der Sperrklausel, so bedeutet die Nichterfüllung der Pflicht, diese zu überprüfen und zu ändern, jedenfalls zugleich eine Verletzung der Rechte der Antragstellerin. Kommt der Antragsgegner seiner Pflicht nicht hinreichend nach, eine bestimmte Norm unter Kontrolle zu halten, welche die Rechte eines anderen am Verfassungsleben Beteiligten beeinträchtigt, so ist zwangsläufig dessen verfassungsrechtlicher, im Organstreitverfahren nach Art. 53 Nr. 1 LV, § 36 Abs. 1 LVerfGG verteidigungsfähiger Status, hier derjenige aus Art. 3 Abs. 3 und 4 LV, berührt. Politische Parteien werden durch Wahlgesetze unmittelbar betroffen. Diese berühren ihren verfassungsrechtlichen Status; bevorstehende oder vergangene Wahlen bringen die im Wahlrecht angelegten Vor- und Nachteile lediglich aktuell zur Wirkung (BVerfGE 1, 208 <230>; 92, 80 <89>). | 54 |
Sperrklauseln beeinträchtigen diejenigen politischen Parteien in ihren Rechten auf Chancen- und
Wahlrechtsgleichheit, denen es nicht gelingt, das jeweilige Quorum, hier 5 %, bei Wahlen zu erreichen, und die
deshalb von der Sitzzuteilung in der zu wählenden Körperschaft ausgeschlossen sind. Nach der
verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gilt jedoch, daß Sperrklauseln stets einer besonderen Rechtfertigung durch
einen zwingenden Grund bedürfen, um den Eingriff in den verfassungsrechtlichen Status der von ihr betroffenen
kleineren Parteien zu legitimieren. Der Wegfall der ![]() |
55 |
Sieht man in der Änderung des Aufgabenzuschnitts der Kommunalvertretungen den Wegfall eines die Sperrklausel im Kommunalwahlrecht legitimierenden Umstandes, bedeutet das Unterlassen des Gesetzgebers, dem nachzugehen und den veränderten Verhältnissen durch eine Änderung des Gesetzes Rechnung zu tragen, nicht nur eine unmittelbare Gefährdung des materiellen Rechts auf Chancengleichheit bei den anstehenden Kommunalwahlen, sondern auch eine Verletzung des der Antragstellerin aus Art. 3 Abs. 3 und 4 LV erwachsenden (Teil-)Rechts auf Überprüfung und Nachbesserung der sie beeinträchtigenden Rechtslage. Insoweit enthält Art. 3 Abs. 4 LV seinerseits bereits eine Vorverlagerung des Schutzes gegenüber Beeinträchtigungen des Status politischer Parteien. Diese hat eine ähnliche Dimension wie die Garantie der Entstehenssicherung bei Grundrechten oder der Grundrechtsschutz durch Verfahren (abweichend VerfGH Saarl., Urteil vom 14.07.1998, Umdruck S. 11). | 56 |
IV. |
|
Nach § 36 Abs. 2 LVerfGG ist die Bestimmung der Landesverfassung zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung verstoßen wird. | 57 |
Die Antragstellerin rügt einen Verstoß gegen ihr Recht auf Chancengleichheit bei Wahlen durch pflichtwidriges Unterlassen des Antragsgegners und benennt dafür als verletzte Norm Art. 21 Abs. 1 GG. Nicht ausdrücklich benannt, auch nicht unter Bezugnahme auf die Antragsschrift im Verfahren LVerfG 3/99, hat sie Art. 3 Abs. 4 LV, der – soweit es die politischen Parteien betrifft – eine wortlautidentische normative Aussage enthält. | 58 |
Versteht man Art. 21 Abs. 1 GG zugleich als eine Norm des Landesverfassungsrechts (so das
BVerfG in st. Rspr., vgl. BVerfGE 6, 367 <375>; 27, 10 <17>;
60, 53 <61>; s. a. VerfGH NW, DÖV 1992, S. 268, <269>;![]() |
59 |
V. |
|
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist der Antrag nicht gemäß § 36 Abs. 3 LVerfGG verfristet. Nach dieser Bestimmung muß der Antrag binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden. Diese Frist ist eingehalten. | 60 |
1. Ebenso wie die – wortgleiche – Vorschrift des § 64 Abs. 3 BVerfGG enthält die Bestimmung eine gesetzliche Ausschlußfrist, nach deren Ablauf Rechtsverletzungen im Organstreitverfahren nicht mehr geltend gemacht werden können (vgl. BVerfGE 71, 299 <304>; 80, 188 <210>). Die Frist läuft nach der ausdrücklichen Regelung des § 36 Abs. 3 LVerfGG unabhängig davon, ob Angriffsgegenstand eine Maßnahme oder ein Unterlassen ist. | 61 |
![]() |
62 |
Wann unter solchen Umständen die Frist für die Einleitung eines Organstreitverfahrens beginnt, läßt sich nicht generell und für alle Fallgestaltungen einheitlich festlegen. Sie wird aber jedenfalls dadurch in Lauf gesetzt, daß sich der Antragsgegner erkennbar eindeutig weigert, in der Weise tätig zu werden, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält. In einer derartigen Weigerung liegt zugleich ein Geschehen, das – im Sinne von § 36 Abs. 3 LVerfGG – als Bekanntwerden des Unterlassens zu werten ist und an das deshalb trotz fortdauernden Unterlassens für den Fristbeginn anzuknüpfen ist (vgl. BVerfGE 92, 80 <89>; VerfGH NW, DVBl. 1995, S. 153). | 63 |
2. Diese Voraussetzung ist vorliegend (erst) im Zusammenhang mit der Änderung des Kommunalwahlgesetzes zum Zwecke der Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre (Erstes Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 3. März 1999 – GVOBl. S. 212) erfüllt. | 64 |
![]() Gesichtspunkt ihrer Wirksamkeit zur Bildung stabiler Mehrheiten in der jeweiligen Vertretungskörperschaft. Der Landtagsabgeordnete und Innenminister Dr. Timm führte im Hinblick auf die Auswirkungen der Einführung der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte auf die Sperrklausel aus, daß deren Überprüfung gegenwärtig nicht notwendig sei, weil sich diese Gesetzesänderung erst ab dem Jahr 2001 auswirke; bis dahin sei hinreichend Zeit, die Auswirkungen der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte auf die Sperrklausel ausführlich und gründlich zu prüfen. In der Schlußabstimmung über den Entwurf zum Ersten Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes (Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre) hat der Landtag mehrheitlich die Beschlußempfehlung des Innenausschusses angenommen, die keine Änderung oder Abschaffung der Sperrklausel vorsah. |
65 |
![]() |
66 |
Diese Weigerung ist der Antragstellerin in der öffentlichen Sitzung des Landtages am 3. März
1999, und zwar mit der Beschlußfassung über den Gesetzentwurf, spätestens jedoch mit der Verkündung des Ersten
Gesetzes zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes am 5. März 1999, bekannt geworden und hat die Antragsfrist des ![]() |
67 |
b) Der Landtag und die Landesregierung stellen hingegen darauf ab, spätestens mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte sei eindeutig klar gewesen, daß der Gesetzgeber die 5 %-Sperrklausel zumindest für die im Jahr 1999 stattfindenden Kommunalwahlen nicht abschaffen werde, vielmehr hätten die Kommunalwahlen 1999 bereits abschließend geregelt werden sollen. Daran ändere auch nichts das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes vom 3. März 1999, das im wesentlichen nur die Herabsetzung des Wahlalters geregelt habe; die Absicht des Gesetzgebers, die Kommunalwahlen 1999 im Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl von Bürgermeistern und Landräten vom 29. November 1997 abschließend zu regeln, sei dadurch nicht in Frage gestellt worden. | 68 |
Darauf, ob der Gesetzgeber mit dem Gesetzesbeschluß über das Gesetz zur Änderung
kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte im
November 1997 möglicherweise beabsichtigte, die Vorschriften für die Kommunalwahlen 1999 abschließend zu regeln,
kommt es entgegen der Auffassung des Antragsgegners und der Landesregierung für die Frage des Beginns der
Sechsmonatsfrist des § 36 Abs. 3 LVerfGG nicht an. Zweifel daran ergeben sich bereits insoweit, als er
anschließend die Herabsetzung des Wahlalters mit dem Kommunalwahländerungsgesetz vom 3. März 1999 beschlossen
hat, das insofern ![]() |
69 |
Entscheidend ist indes, wie dargelegt, ob sich der Antragsgegner in einer die Ausschlußfrist des § 36 Abs. 3 LVerfGG auslösenden Weise erkennbar eindeutig geweigert hat, so tätig zu werden, wie dies die Antragstellerin zur Wahrung der Rechte aus ihrem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hielt (BVerfGE 92, 80 <89>). Unter dem hier allein maßgeblichen Aspekt nachträglich geänderter Umstände hat der Antragsgegner eine solche eindeutige Weigerung gegenüber der Antragstellerin erstmals anläßlich der 2. Lesung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes am 3. März 1999 erkennen lassen. | 70 |
Zwar hatte sich der Landtag schon zuvor mit der Frage der Beibehaltung der Sperrklausel beschäftigt. So blieben Anträge der Fraktion der LL/PDS vom 10. November 1993 (Drs. 1/3787) und vom 30. August 1995 (Drs. 2/737) zur Verhinderung bzw. Aufhebung der Sperrklausel erfolglos. Der Städte- und Gemeindetag hatte die Aufhebung der Sperrklausel gegenüber dem Landtag in einem Expertengespräch am 8. November 1995 anläßlich des Gesetzgebungsverfahrens zum Ersten Wahlrechtsänderungsgesetz vom 18. Dezember 1995, im Zusammenhang mit dem Zweiten Wahlrechtsänderungsgesetz (LT-Prot. 2/69, S. 4280 ff.) sowie am 20. Januar 1999 bei der Anhörung im Gesetzgebungsverfahren zum Kommunalwahländerungsgesetz vom 3. März 1999 angeregt, jedoch ebenfalls keine Resonanz gefunden. | 71 |
In dem Verfahren zum Erlaß des am 29. November 1997 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung
kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte
selbst kam die 5 %-Sperrklausel nicht zur Sprache. Das entsprach dem Umstand, daß eine Überprüfungs- und
etwaige Änderungspflicht des Antragsgegners im Hinblick auf die 5 %-Sperrklausel selbst gar nicht
Beschlußgegenstand in dem damaligen ![]() |
72 |
Wohl wurde in dem Verfahren über den Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften (2. WRÄndG) vom 28. Oktober 1997 (GVOBl., S. 546 ff.) u. a. auch über Anträge der Fraktion der PDS, die Sperrklausel zu streichen (LT-Drs. 2/737 und 2/3197-neu), abgestimmt, ohne daß diese eine Mehrheit fanden. Wenn die Abgeordnete Jünger hierzu in der 2. Lesung des Gesetzesentwurfs ausführte, ihre Fraktion lehne „weiterhin die 5-%-Sperrklausel in den Wahlgesetzen ab“, weil „Sperrklauseln einen sehr willkürlichen Eingriff in die Wahlrechte und Mitbestimmungsrechte von Wählerinnen und Wählern“ darstellten (LT-Prot. 2/69 S. 4280, 4282), so zeigt dies, daß mit dem Antrag (lediglich) ein bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgebrachtes, allgemein-politisches Anliegen der Fraktion verfolgt wurde, das den Aspekt einer sich möglicherweise aus veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen ergebenden Überprüfungs- und Anpassungspflicht (noch) nicht zum Gegenstand hatte. | 73 |
Fehlte diesem Verfahren ein systematischer, hinreichend deutlich erkennbarer Bezug zur Einführung der
Direktwahl, so konnte die Frist für die Geltendmachung eines pflichtwidrigen gesetzgeberischen Unterlassens in einem
parallel betriebenen Gesetzgebungsverfahren nur ausgelöst werden, wenn der Gesetzgeber in seiner Entscheidung
hinreichend deutlich machte, daß er trotz der Neuregelung der Wahl der Bürgermeister und ![]() |
74 |
Von einer vor dem 3. März 1999 hinreichend eindeutig erkennbaren Weigerung des Landtages, die Sperrklausel unter der Perspektive veränderter Verhältnisse zu diskutieren und gegebenenfalls aufzuheben, kann nach allem daher keine Rede sein. | 75 |
C. |
|
Der Antrag ist auch begründet. Der Antragsgegner hat dadurch gegen Art. 3 Abs. 3 und 4 LV verstoßen, daß er es im Zusammenhang mit dem Erlaß des Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte vom 26. November 1997 (GVOBl. S. 694 ff.) unterlassen hat, rechtzeitig, d. h. vor der Kommunalwahl 1999, zu prüfen, ob eine Aufhebung oder Änderung des § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz KWG M-V geboten ist. | 76 |
I. |
|
Das Unterlassen des Antragsgegners, der Frage einer weiteren Rechtfertigung der Sperrklausel des § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz KWG M-V nachzugehen, verstößt gegen das in (Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m.) Art. 3 Abs. 3 und 4 LV gewährleistete Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb bei Wahlen. | 77 |
1. Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 3 Abs. 4 LV wirken die Parteien bei
der politischen Willensbildung des Volkes mit; ihre Gründung ist frei (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG). Aus
diesen Bestimmungen ergibt sich der an der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wesentlich teilhabende
Verfassungsgrundsatz, daß Parteien bei Wahlen gleiche Wettbewerbschancen haben müssen (BVerfGE
3, 19 <26>). ![]() |
78 |
Dieser Prozeß setzt in der modernen parlamentarischen Demokratie die Existenz politischer Parteien
voraus. Sie sind vornehmlich berufen, die Aktivbürger freiwillig zu politischen Handlungseinheiten mit dem Ziel der
Beteiligung an der Willensbildung in den Staatsorganen organisatorisch zusammenzufassen. Aus diesem Grund erkennen
Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 3 Abs. 4 LV ausdrücklich an, daß die Parteien an der politischen
Willensbildung des Volkes mitwirken. Die Parteien sammeln und leiten die auf die politische Macht und ihre
Ausübung in Wahlen und Staatsorganen gerichteten Meinungen, Interessen und Bestrebungen, gleichen sie in sich aus
und formen sie zu Alternativen, unter denen die Bürger auswählen können. Wahlen zu den Repräsentationsorganen
wirken damit als politisches Werturteil über ihr Programm und bestimmen wesentlich den Einfluß, den die Parteien
auf die Willensbildung und die Entscheidung in diesen Organen haben (BVerfGE 44, 125 <145 f.>;
73, 40 <85>). Die Entscheidung über den Wert des Programmes einer politischen Partei und über ihr
Recht, an der Bildung des Staatswillens (organisatorisch) mitzuwirken, kann allein von den Wählern getroffen werden;
hier liegt die ursprünglichste und wichtigste Äußerungsform der repräsentativen Demokratie überhaupt (BVerfGE
3, 19 <26>). Damit die Wahlentscheidung in voller Freiheit gefällt werden kann, ist es unerläßlich,
daß die Parteien mit gleichen Chancen in den Wahlkampf eintreten können. Deshalb ist mit der in Art. 21
Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich angesprochenen Freiheit der Gründung im Grundsatz auch die gleichberechtigte
Mitwirkung aller ![]() |
79 |
Die durch die Verfassung gebildete staatliche Grundordnung trägt im Bereich der politischen
Willensbildung bei Wahlen insofern einen formalen Charakter, als sie unbeschadet der bestehenden sozialen
Unterschiede alle Staatsbürger absolut gleich bewertet (BVerfGE 14, 121 <132>). Der Grundsatz der
gleichen Wahl gebietet, daß alle wahlberechtigten Bürger mit der Stimme, die sie abgeben, grundsätzlich formal
gleichen Einfluß auf das Wahlergebnis ausüben und daß das Gewicht ihrer Stimme weder nach ihrem Zähl- noch –
von engen Ausnahmen abgesehen – in ihrem Erfolgswert differenziert wird. Da es heute die Parteien sind, welche die
Aktivbürger für die Wahlen zu politischen Handlungseinheiten organisatorisch zusammenschließen, hat die
Formalisierung des Gleichheitssatzes im Bereich der politischen Willensbildung des Volkes zur Folge, daß auch die
Chancengleichheit der politischen Parteien in dem gleichen formalen Sinne verstanden werden muß (BVerfGE 24, 300
<340 f>.). Nur der Wahlakt kann in der parlamentarischen Demokratie das „entscheidende Vertretungsorgan des
in seiner Gesamtheit auf Repräsentation angewiesenen Staatsvolkes kreieren“ und die vom Demokratieprinzip
geforderte Legitimationsgrundlage für die Ausübung öffentlicher Gewalt schaffen (vgl. BVerfGE 97, 317
<323>). Aus diesem Grund ist dem Gesetzgeber bei Regelungen, welche die politische Willensbildung des Volkes
berühren, zu denen auch die Chancengleichheit der Parteien bei Wahlen zählt, jede unterschiedliche Behandlung der
Parteien, durch die deren Chancengleichheit bei Wahlen verändert werden kann, von Verfassungs wegen versagt, sofern
sie sich nicht durch einen besonderen zwingenden Grund ![]() |
80 |
2. a) Sperrklauseln beeinträchtigen das Recht auf Chancengleichheit, indem sie Parteien oder Wählergruppen, die das festgesetzte Quorum nicht erfüllen, von der Sitzzuteilung in der zu wählenden Volksvertretung ausschließen. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung (BVerfGE 6, 104 <114 ff.>; 51, 222 <236 ff.>; 82, 322 <338 ff.>; 95, 408 <418 ff.>) entschieden, daß jedenfalls bei der Verhältniswahl, wie sie das Kommunalwahlgesetz M-V – in einer durch Elemente der Persönlichkeitswahl modifizierten Form – vorsieht, jede Stimme grundsätzlich den gleichen Erfolgswert haben muß. Differenzierungen bei dem Erfolgswert der Stimmen bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets eines zwingenden Grundes (BVerfGE 51, 222 <235 f.>; 82, 322 <338>; 93, 375 <377>; 95, 408 <418>; Berl. VerfGH, LKV 1998, S. 142 <143>; VerfGH NW, DVBl. 1995, S. 153 <155>). | 81 |
Als ein solcher ist – mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 82, 322 <338>) – insbesondere
die Sicherung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung anzusehen. Auch in seinen neueren
Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 95, 335 <366>;
95, 408 <419>) die Gewährleistung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des zu wählenden
Repräsentationsorgans als zureichenden Rechtfertigungsgrund hervorgehoben. Mit dem Ziel der Wahl, ein
Repräsentationsorgan zu schaffen, das ein Spiegelbild der in der Wählerschaft vorhandenen politischen Meinungen
wiedergibt, verbindet sich zugleich das Anliegen, ein funktionsfähiges Organ hervorzubringen, das imstande ist, die
ihm durch die staatliche Kompetenz Ordnung übertragenen Aufgaben wirksam wahrzunehmen. Ein unbegrenzter Proporz
könnte durch die Abbildung vieler kleiner Gruppen in der Vertretungskörperschaft die Bildung stabiler Mehrheiten
erschweren oder verhindern. Dies kann – je nach Aufgabenzuschnitt der beteiligten Organe – zu einer Verschiebung
der verfassungsrechtlich vorausgesetzten innerkörperschaftlichen Aufgabenverteilung, unter Umständen auch zu
ernsthaften Beeinträchtigungen ![]() |
82 |
b) Bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Sperrklausel ist auf die Verhältnisse in dem jeweiligen Land und insbesondere auf den Aufgabenkreis der zu wählenden Volksvertretung abzustellen (BVerfGE 82, 322 <338>; st. Rspr. seit BVerfGE 1, 208 <259>). Beim Bundestag und den Landtagen hat das Bundesverfassungsgericht die 5 %-Sperrklausel durch die Aufgaben der Gesetzgebung und Regierungsbildung, bei den Kommunal Vertretungen vor allem vor dem Hintergrund der Aufgaben der eigenverantwortlichen Selbstverwaltung und der notwendigen Wahlen von Bürgermeistern (Gemeindedirektoren) und Ausschüssen als gerechtfertigt angesehen (BVerfGE 6, 104 <114 ff.>; 51, 222 <237>). | 83 |
Ob eine Sperrklausel zur Sicherung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit einer Volksvertretung
geboten ist, kann nicht ein für allemal abstrakt beurteilt werden; eine solche Einschränkung des Rechts auf gleiche
Wahl kann in dem einen Gemeinwesen zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechtfertigt sein und in einem anderen oder zu
einem anderen Zeitpunkt nicht. Deshalb sind die Verhältnisse des Landes, für das sie gelten soll, jeweils zu
berücksichtigen (BVerfGE 82, 322 <338>). Dabei ist allerdings in Rechnung zu stellen, daß der Wahlakt
die entscheidende Legitimationsgrundlage für die Ausübung staatlicher und kommunaler Befugnisse bereithält und das
Wahlrecht „das vornehmste Recht des Bürgers im demokratischen Staat“ ist (BVerfGE 1, 14 <33>;
s. a. BVerfGE 97, 317 <323>; 99, 69 <77 f.>), dessen Einschränkung stets unter einem
besonderen Rechtfertigungsdruck steht. Von daher bleibt dem Gesetzgeber nur ein eng bemessener Spielraum (BVerfGE 95,
408 <418 f.>; 99, 69 <78>; VerfGH NW, DVBl, 1995, S. 153 <155>; DVBl. 1999,
S. 1271 <1272>). Unbeschadet seiner Freiheit in der Gestaltung des jeweiligen Wahlsystems und der näheren
Ausformung des Wahlverfahrens hat er sich bei der Einschätzung und Bewertung von Umständen, die auf eine mögliche
Gefährdung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Vertretungskörperschaften hindeuten, an der politischen
Wirklichkeit ![]() |
84 |
3. Das Fortwirken von einmal beschlossenen Sperrklauseln bewirkt eine dauerhafte Beeinträchtigung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb der Parteien bei Wahlen. Deshalb besteht die Pflicht des Gesetzgebers, Sperrklauseln unter Kontrolle zu halten und die Voraussetzungen für ihren Erlaß bei entsprechendem Anlaß zu überprüfen; gegebenenfalls hat er sie zu korrigieren. Zwar zwingt eine solche Überprüfungs- und ggf. daraus folgende Änderungspflicht den Gesetzgeber nicht generell zu einer fortlaufenden Kontrolle des Gesetzes; bestehen indes Anhaltspunkte dafür, daß sich innerhalb des Geltungsbereiches eines Wahlgesetzes die Verhältnisse wesentlich geändert haben, so kann sich eine gegenüber der bisherigen Einschätzung abweichende Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer Sperrklausel ergeben. Findet der Wahlgesetzgeber in diesem Sinne veränderte Umstände vor, so muß er sie berücksichtigen. Demgemäß hat er die Pflicht zu prüfen, ob die Verhältnisse, derentwegen die Sperrklausel ehemals für erforderlich gehalten wurde, unverändert fortbestehen oder sich in erheblicher Weise geändert haben, und ggf. die Gesetzeslage zu korrigieren (BerlVerfGH, LKV 1998, S. 143; VerfGH NW, DVBl. 1995, S. 153 <155>; DVBl. 1999, S. 1271 <1272>; vgl. zu Nachbesserungspflichten des Gesetzgebers auch BVerfGE 50, 290 <395>; 73, 40 <94>; 77, 308 <334>). | 85 |
II. |
|
1. Nach diesen Kriterien war der Antragsgegner verpflichtet, mit Erlaß des Gesetzes über die
Einführung des Gesetzes zur Änderung ![]() |
86 |
a) Nach der Kommunalverfassung M-V vom 18. Februar 1994 hatten die Gemeindevertretung und der Kreistag u. a. die Aufgabe, den Bürgermeister bzw. Landrat zu wählen (§§ 38 Abs. 1, 39 Abs. 4 KV, 116 Abs. 1 KV 1994). Diese Aufgabe ist in Mecklenburg-Vorpommern mit Inkrafttreten der Änderung der Kommunalverfassung und des Kommunalwahlgesetzes 1997 entfallen. Damit ist den Gemeindevertretungen und Kreistagen eine bedeutsame Personalentscheidung aus der Hand genommen worden; zugleich sehen sie sich einer Verwaltungsspitze mit erheblich gestärkter, unmittelbarer demokratischer Legitimation gegenüber. Hierdurch hat sich die Rechtslage im Vergleich zu der Situation unter der Geltung der Kommunal Verfassung 1994 im Hinblick auf die 5 %-Sperrklausel so erheblich geändert, daß eine Überprüfung der ihrer Rechtfertigung dienenden Gründe geboten war. | 87 |
aa) Bei der näheren Bestimmung einer Gefahr für die Funktionsfähigkeit von Volksvertretungen hat die
Rechtsprechung von Anfang an in hohem Maße auf die in einem parlamentarischen System angelegte Notwendigkeit der
Bildung sicherer Mehrheiten insbesondere bei der Regierungsbildung hingewiesen (BVerfGE 1, 208 <248>; 6, 84
<92>). Diese Rechtsprechung ist nicht zuletzt unter dem Eindruck des sog. „Weimarer Traumas“ entwickelt
worden (hierzu namentlich Meyer, in: Isensee/Kirchhof a.a.O. § 38 Rn. 27; s. a. Wenner, Sperrklauseln
im Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1986, S. 346; Pauly, AöR 123 (1998), S. 232, 256). Ihr
entspricht die Vorstellung, daß die auf den staatlichen Ebenen von Bund und Ländern nach dem (personalisierten)
Verhältniswahlsystem gewählten Parlamente durch Mehrheitsbeschluß eine Regierung zu bilden haben. Der Regierung ![]() |
88 |
bb) Während die Kommunalverfassung M-V bis zu ihrer Änderung im Jahre 1997 die Wahl der Bürgermeister bzw. Landräte durch die Vertretungskörperschaften kannte und insoweit dem parlamentarischen Regierungssystem auf staatlicher Ebene deutlich angenähert war, hat die Einführung der Direktwahl eine bedeutsame strukturelle Änderung der Kommunalverfassung gebracht (so auch die Einschätzung durch den damaligen Innenminister Geil in der Schlußberatung am 5. März 1997, LT-Prot. 2/57, S. 3387; s. a. Meyer, LKV 1998, S. 85, 86): Es ist nicht zuletzt das jeweilige Kräfteverhältnis von Vertretungskörperschaft und administrativer Spitze, das den spezifischen Charakter der jeweiligen Kommunalverfassung ausmacht. Demgemäß wird dieses Verhältnis traditionell als wesentliches Unterscheidungsmerkmal für die nähere Ausformung unterschiedlicher Gemeindeverfassungstypen im Kommunalrecht hervorgehoben (vgl. nur Schmidt-Aßmann, in: ders. [Hrsg.], Bes. Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1999, 1. Abschnitt, Rn. 55 ff. m.w.N.). Die systemprägende Bedeutung dieses Verhältnisses findet Ausdruck in § 21 KV M-V, wenn dort die Gemeindevertretung und der Bürgermeister als die Organe der Gemeinde bezeichnet sind. | 89 |
![]() |
90 |
b) Der Einschätzung, daß es sich bei der Einführung der Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten
um einen für die Rechtfertigung der 5 %-Sperrklausel wesentlichen Umstand handelte, der den Gesetzgeber zur
Überprüfung der bisherigen Rechtslage zwang, steht nicht entgegen, daß den kommunalen Vertretungen, wie der
Antragsgegner geltend macht, auch nach der Einführung der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte noch eine
Vielzahl im einzelnen aufgeführter Aufgaben verblieb. Denn hier ist nicht zu entscheiden, ob sich insoweit
möglicherweise – trotz der gesetzlichen Vorkehrungen in §§ 30 Abs. 3, 38 Abs. 4 Satz 1,
2. Halbsatz, 108 Abs. 3 KV M-V – ein konkretes Gefährdungspotential durch in der Kommunalvertretung
repräsentierte Splittergruppen belegen läßt. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, entfiele nicht die durch den
Erlaß des Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl
der Bürgermeister und Landräte vom 26. November 1997 begründete Überprüfungsbedürftigkeit der der
Sperrklausel zugrundeliegenden Umstände. Gleiches gilt für die landesspezifische Besonderheit, daß neben den
Kreistagen lediglich ein kleiner Teil der Gemeindevertretungen von der 5 %-Sperrklausel betroffen ist, weil bei
den – die weit überwiegende Anzahl von Kommunen ausmachenden – Gemeinden mit einer Einwohnerzahl bis zu 7.500
Einwohnern eine immanente Sperre von 5 % greift; eine rein ![]() |
91 |
Umgekehrt ist – anders als die Antragstellerin meint – im vorliegenden Verfahren nicht darüber zu befinden, ob sich die unterschiedliche Behandlung von Einzelbewerbern und Listenbewerbern, die als Ausnahme von der 5 %-Sperrklausel ihrerseits einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf (siehe BVerfGE 6, 84 <95 f.>; 95, 335 <358 f.> – Überhangmandate; 95, 408 <420> – Grundmandate), mit dem Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien bei der Wahl vereinbaren läßt. Insoweit macht die Antragstellerin keine Veränderung der Verhältnisse geltend, die eine Überprüfungs- und etwaige Nachbesserungspflicht des Antragsgegners auslösen könnte. | 92 |
2. Die Neubestimmung des Aufgabenkreises der Kommunalvertretungen durch die Verlagerung der Aufgabe, den Bürgermeister bzw. den Landrat zu wählen, auf die Bürger verlangte nach alledem eine neue Bewertung der Erforderlichkeit einer 5 %-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht. Der Landtag ist dieser Pflicht zur Überprüfung und ggf. erneuten Rechtfertigung, Abmilderung oder Aufhebung der Sperrklausel nicht rechtzeitig nachgekommen. | 93 |
a) Mit der Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte ist dem Gesetzgeber die
besondere Pflicht zugewachsen, die Sperrklausel auf ihre verfassungsrechtliche Erforderlichkeit gerade im Kontext mit
der vorbezeichneten Neuregelung hin zu untersuchen. Dieser spezifischen Pflicht konnte der Gesetzgeber nicht dadurch
genügen, daß er den in einem parallel betriebenen Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes
eingebrachten Antrag zur Streichung der 5 %-Hürde (LT-Drs. 2/737) ohne Auseinandersetzung mit der durch
das Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der
Bürgermeister und Landräte vom 26. November 1997 ![]() |
94 |
b) Es kann offen bleiben, ob der Gesetzgeber idealerweise zeitgleich mit dem Gesetzgebungsverfahren zur Einführung der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte auch eine Überprüfung der Sperrklausel vorgenommen hätte. Hiergegen mag sprechen, daß ein entsprechend frühes Handeln auf die Ungewißheit stieß, ob und wie das Gesetzesvorhaben der Einführung der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte überhaupt verwirklicht werden konnte. Jedenfalls war mit Inkrafttreten der alle maßgeblichen Regelungen enthaltenden Gesetzesänderung am 29. November 1997 geklärt, daß die Direktwahl der Bürgermeister und Landräte nach der nächsten Kommunalwahl (die am 13. Juni 1999 stattfand) nicht mehr zu den Aufgaben der kommunalen Vertretung zählte, sondern Aufgabe der Bürger war. | 95 |
Vorliegend kommt es nicht darauf an, zu welchem genauen Zeitpunkt die Überprüfungspflicht des
Antragsgegners einsetzte, um rechtzeitig bis zum 13. Juni 1999 die notwendigen Schritte im Hinblick auf
§ 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz KWG M-V einzuleiten. Jedenfalls lag dieser Zeitpunkt zeitnah zum
Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte am 29. November 1997.
Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 9. April 1999 konnte ihr bereits nicht mehr angemessen ![]() |
96 |
Die regelmäßig erst ab 2001 zu erwartende direkte Neuwahl der hauptamtlichen Bürgermeister und Landräte konnte jedoch an der durch den Erlaß des Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte vom 26. November 1997 ausgelösten Überprüfungspflicht des Antragsgegners nichts ändern. Der Zeitpunkt der ersten direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte ist für die hier allein in Frage stehende Befassungs- und Neubewertungspflicht des Landtages nicht von Belang. Entscheidend ist allein, daß mit dem Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte vom 26. November 1997 den im Jahre 1999 zu wählenden kommunalen Vertretungen ein maßgebliches Kreationsrecht entzogen wurde. Damit war die Pflicht zur Neubewertung der in § 37 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz KWG M-V enthaltenen 5 %-Klausel unter Berücksichtigung des veränderten kommunalen Kompetenzgefüges ausgelöst. | 97 |
![]() |
98 |
c) Ob die Einführung des Kommunalwahlrechtes für Unionsbürger (durch das Erste Gesetz zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 18. Dezember 1995, GVOBl. 1995, S. 651) und die Herabsetzung des Wahlalters bei Kommunalwahlen weitere Anlässe waren, die uneingeschränkte Aufrechterhaltung der Sperrklausel zu überprüfen, kann angesichts der vorstehend dargestellten strukturellen Änderung des Kommunalverfassungsrechts offen bleiben; diese haben jedenfalls im Hinblick auf die vom Gesetzgeber zu treffende Entscheidung über § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz KWG M-V nicht das gleiche Gewicht wie die Änderungen des kommunalverfassungsrechtlichen Kompetenzgefüges durch die Einführung der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte. | 99 |
3. Die aus der gesetzlichen Neuregelung der Wahl der Bürgermeister und Landräte erwachsene Überprüfungspflicht dauert fort, solange ihr nicht hinreichend nachgekommen ist. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, bei der anstehenden, rechtzeitig vor der nächsten Kommunalwahl zu treffenden Neuentscheidung über die 5 %-Sperrklausel in § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz KWG M-V das Anliegen integrativer Repräsentanz und die Gebote der Wahlrechts- und Chancengleichheit der politischen Parteien einerseits mit dem Belang der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung andererseits zum Ausgleich zu bringen. | 100 |
Bei der insoweit mit anzustellenden Gefahrenprognose für die Funktionsfähigkeit der zu wählenden
Gemeindevertretungen bzw. Kreistage wird der Gesetzgeber zu berücksichtigen haben, daß diese sich ![]() |
101 |
Hierbei können die zwischenzeitlich gewonnenen Erfahrungen in Ländern mit einem Kommunalwahlrecht, das
ohne eine 5 %-Sperrklausel auskommt, nicht außer Acht gelassen werden (ebenso VerfGH NW, DVBl. 1995,
S. 155 <156>). Insgesamt beträgt der Erfahrungszeitraum mit einer solchen Rechtslage in den beiden
Ländern Niedersachsen und Baden-Württemberg mehr als 50 Jahre. In Bayern ist die Sperrklausel 1952 abgeschafft
worden, nachdem der Bayerische Verfassungsgerichtshof diese im gleichen Jahr (DÖV 1952, S. 438 ff.) für
verfassungswidrig erklärt hatte. Zu berücksichtigen ist ebenfalls, daß es für die nach dem Gesetz über Wahlen zu
Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen, Stadtbezirksversammlungen und Gemeindevertretungen vom 6. März 1990
(GBl. I 1990, S. 99) neu gewählten Gemeindevertretungen und Kreistage in den neuen Bundesländern
zunächst keine 5 %-Sperrklausel gab (vgl. oben A. I. 1.), eine Ausgangslage, die auch heute noch
in den Ländern Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt gilt. Bei Einführung der 5 %-Klausel in
Mecklenburg-Vorpommern durch § 37 Abs. 2 Satz 1 KWG M-V vom ![]() |
102 |
III. |
|
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 32 Abs. 1, 33 Abs. 2 LVerfGG. Die Antragstellerin hat durch die Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens zur Klärung grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Fragen beigetragen. Sie kann nicht – wie dies in aller Regel bei allen an einem Organstreit Beteiligten der Fall ist – die für die Führung des Rechtsstreits erforderlichen Aufwendungen aus Mitteln öffentlicher Haushalte bestreiten. Unter Berücksichtigung der Teilrücknahme der Anträge und des Ausgangs des Verfahrens, soweit entschieden worden ist, erschien es deshalb billig, die Erstattung der Auslagen durch das Land Mecklenburg-Vorpommern, dem das Verhalten des Antragsgegners zuzurechnen ist (vgl. BVerfGE 73, 40 <103>; s. a. BVerfGE 44, 125 <166 f.>; 82, 322 <351>; VerfGH NW, NWVBl. 1996, S. 58 <61>), gemäß § 33 Abs. 2 LVerfGG in dem tenorierten Umfang anzuordnen. | 103 |
Dr. Hückstädt, Wolf, Häfner, Dr. Schneider, Steding, von der Wense, Prof. Dr. Wallerath | |