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20.02.2005

15 Jahre demokratisches Volkskammerwahlgesetz

Vor 15 Jahren, am 20. Februar 1990, beschloss die Volkskammer der DDR ein neues Gesetz über demokratische Wahlen zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990 (Volkskammerwahlgesetz – GBl. DDR I S. 60). Vom Prinzip war es ein reines Verhältniswahlsystem ohne Sperrklausel mit regionaler Unterverteilung der Sitze auf Bezirkslisten unter Verwendung des Quotenverfahrens mit Restausgleich nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer)

Das Wahlgesetz sah einen expliziten Ausschluss von u. a. faschistischen Parteien und Vereinigungen vor. Zu weiteren Einzelheiten siehe das Wahlsystem zur Wahl der DDR-Volkskammer von 1990 im Wahlrechtslexikon.

Im Gegensatz zu den vorhergehenden Volkskammerwahlen war eine geheime Wahl gewährleistet – die Benutzung der Wahlkabinen war zwingend vorgeschrieben. Davor hatte zwar jeder Wähler das Recht, eine Wahlkabine zu benutzen, allerdings war eine Kennzeichnung des Stimmzettels nach dem alten Gesetz zur Wahl der Volkskammer nicht notwendig („Falten gehen“), weshalb man durch die Benutzung der Kabine zum bloßen Falten des Stimmzettels vielleicht nicht nur die kritischen Blicke des Wahlvorstandes auf sich zog.

Die erste und letzte freie Volkskammerwahl fand am 18. März 1990 statt und war der Auftakt zu einem Superwahljahr mit vier Wahlterminen in den damaligen ostdeutschen Bezirken bzw. späteren Bundesländern. Es folgten die

Wahlbeteiligungen

Die Wahlbeteiligung dieser zehnten Volkskammerwahl lag bei 93,4 %, 11.604.190 der 12.426.192 Wahlberechtigten gingen zur Wahl und 11.540.927 (99,5 %) der abgegebenen Stimmen waren gültig.

Die höchste Wahlbeteiligung in Westdeutschland lag bis dahin bei 91,1 % (Bundestagswahl 1972), bei vorherigen Volkskammerwahlen wurde im Juli 1967 eine Beteiligung von 99,93 % als Spitzenwert erreicht, während im Oktober 1954 „nur“ 99,5 % der Wähler zur Wahlurne bewegt werden konnten (oder auch die Wahlurne zu den Wählern).

Wahl in der DDR bzw. den neuen
Bundesländern und Ostberlin
Wahlbeteiligung
Volkskammerwahl 198699,74 %
Volkskammerwahl 199093,4 %
Bundestagswahl 199074,5 %
Bundestagswahl 199472,6 %
Bundestagswahl 199879,9 %
Bundestagswahl 200272,8 %

Wahlergebnis der Volkskammerwahl 1990

Die bei weitem stärkste Partei mit 163 der 400 Sitzen war die CDU, danach folgten die SPD mit 88 Sitzen und die PDS mit 66 Sitzen.

Nach dem vorläufigen Ergebnis hatten CDU mit 164 (statt 163) und die AJL mit einem (statt keinem) Sitz jeweils einen Sitz mehr, den sie nach dem endgültigen Ergebnis (und dem Auszählen der Stimmen aus dem Ausland) an die SPD (nun mit 88 statt 87 Sitzen) und PDS (66 statt 65 Sitzen) verloren. Der AJL fehlten am Ende nur 707 Stimmen für einen Sitz.

Insgesamt zogen 12 Listen in die Volkskammer ein. Von den Gewählten waren lediglich 13 schon einmal Mitglieder der Volkskammer – ein fast kompletter Wechsel.

Das endgültige Ergebnis hatte sich noch nach der Bekanntgabe des Amtlichen Endergebnisses am 23. März 1990 durch die Wahlkommission wegen eines Fehlers im Stimmbezirk 21/001 im Kreis Querfurt (Wahlkreis Halle) noch einmal ohne Auswirkungen auf die Sitzverteilung verändert. Wir veröffentlichen daher das Ergebnis vor der Korrektur – welches fast ausschließlich in den entsprechenden Veröffentlichungen zu finden ist – und das Endergebnis nach der Korrektur, jeweils auch für alle 15 Bezirke.

Konstituierung der Volkskammer

Die Volkskammer trat am 5. April 1990 in Berlin im Palast der Republik zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen.


Mitschnitt der 1. Plenarsitzung der 10. Volkskammer am 5. April 1990
(4,5 Stunden – zur Orientierung siehe die Tagesordnung).

Die Sitzanordnung im Plenum war vom Präsidium aus von rechts nach links gesehen: die Parteien der Allianz für Deutschland mit CDU (163 Sitze), Demokratischer Aufbruch (4) und DSU (25). „Als nächste haben der Bund Freier Demokraten-Die Liberalen (23) und die gemeinsame Fraktion aus DBD und DFD (insgesamt 10) Platz genommen. Etwa in der Mitte des Plenarsaales sitzen die PDS-Abgeordneten (66), links daneben das Bündnis 90 und die Grüne Partei (insgesamt 20), die SPD (88) sowie die Vereinigte Linke (1).“ (Quelle: Aussenpolitische Korrespondenz 10/90, S. 74.)

Die Abgeordneten der Volkskammer bildeten – außer anfänglich einem Fraktionslosen (Thomas Klein, AVL) – sieben Fraktionen: CDU-DA (später CDU), SPD, PDS, DSU, Liberale, Bündnis 90/Grüne Partei und DBD/DFD.

Wahl der Volkskammerpräsidentin

Als erste Präsidentin der Volkskammer wurde Sabine Bergmann-Pohl (CDU) gewählt. In der gleichen Sitzung am 5. April 1990 beschloss das Plenum eine Verfassungsänderung (GBl. DDR I S. 221), durch die u. a. die Wahl des Staatsrats abgeschafft und die Einführung des Amts eines Staatspräsidenten der DDR vorbereitet wurde, bis zu dessen (durch die Einheit nicht mehr erfolgte) Wahl der Volkskammerpräsident die Funktion des Staatsratsvorsitzenden übernehmen sollte (Art. 75a Verfassung der DDR). Damit löste Sabine Bergmann-Pohl auch den bisherigen amtierenden Staatsratsvorsitzenden Manfred Gerlach (LDPD) ab und ist somit das bisher einzige gewählte weibliche Staatsoberhaupt eines deutschen Staates.


von Martin Fehndrich und Matthias Cantow (20.02.2005, letzte Aktualisierung: 18.03.2010)