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Ratinger Linke
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| Veröffentlicht am Mittwoch, 20. Juli 2011 - 19:21 Uhr: | |
"Verbinden" heißt nicht "mischen". Wobei das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum negativen Stimmengewicht in der Tat die Antwort schuldig bleibt, wie eine "Erstreckung des Verhältniswahlprinzips auf die gesamte Sitzverteilung unter Vorbehalt angemessener Gewichtung der Direktmandate" ausschauen soll, wenn die Forderungen dazu schon vom gegenwärtigen Wahlsystem laut früheren Urteilen nicht erfüllt werden. |

Bobo Unregistrierter Gast
| Veröffentlicht am Donnerstag, 21. Juli 2011 - 16:49 Uhr: | |
Ratinger Linke schrieb: > Das Prinzip des Erfolgswerts ist ohne Weiteres direkt auf die relative > Mehrheitswahl im Einerwahlkreis übertragbar. Die Mehrheit der Wähler > hat halt den Erfolgswert 0 und die anderen einen wahlkreisabhängigen > Wert. Zur Beurteilung der Güte kann man dadurch nicht mehr den > paarweisen Vergleich hernehmen, aber die Abstandsmessung vom Soll > existiert nachwievor und ist auch direkt mit der der entsprechenden > Sitzverteilung bei Verhältniswahl vergleichbar: [...] Das ist richtig. Die Frage ist aber, ob dieses Prinzip einen geeigneten Bewertungsmaßstab für einen Proportionalitätsbegriff in einem Mehrheitswahlrecht bildet. Ich fange 'mal mit folgender Überlegung an, die ich mglw. in weiteren Beiträgen ausbaue (sonst werden die Beiträge zu lang). Dabei werde ich in diesem Beitrag zunächst nicht die Mehrheitswahl betrachten, sondern den Fokus mehr auf Wahlsysteme richten, die insgesamt oder in Teilen einer Verhältniswahl entsprechen. Sei G ein Wahlgebiet. (1) In G treten Parteien mit ihren G-Listen an. (Nehmen wir z.B. als Wahlgebiet die Bundesrepublik Deutschland, dann treten die Parteien mit Bundeslisten an.) Gewählt wird nach reiner Verhältniswahl mit Sitzverteilungsverfahren nach Sainte Lague (SL). Dann hat jeder Wähler einen Einfluss auf die gesamte Sitzverteilung. Hinsichtlich der Definition des Erfolgswertes kann er mit seiner Stimme sogar einen positiven Anteil an jedem einzelnen Sitz haben, nämlich dann, wenn seine Partei alle Sitze gewinnt. (Auch bei unserem heutigen Wahlrecht ist es theoretisch möglich, dass ein Wähler an allen Sitzen mit seiner Stimme positiv beteiligt ist, obwohl er mit seiner Zweitstimme nur eine Landesliste wählen kann.) Betrachten wir das Prinzip des Erfolgswertes (PE) in diesem Rahmen, so haben wir ein geeignetes Proportionalitätsmaß hinsichtlich des Wählers und ein optimales Verfahren, welches diesem Maß angemessen genügt. (2) G wird eingeteilt in - sagen wir - 16 "Wahlkreise", in denen je für sich nach Verhältniswahl wie bei (1) gewählt wird. Jedem Wahlkreis wird eine feste Anzahl von Sitzen (Sitzkontingent) im Gremium zugeordnet. Maßgeblich für die Berechnung dieser Sitzkontingente der Wahlkreise sind die Bevölkerungszahlen in den einzelnen Wahlkreisen. Die Berechnung der Sitzkontingente erfolgt nach einem geeigneten Divisorverfahren. Wie bei (1) haben wir innerhalb der einzelnen Wahlkreise ein Proportionalitätsmaß und ein optimales Verfahren, welches PE genügt. Allerdings hat der Wähler eines Wahlkreises keinen Einfluss mehr auf die Sitzverteilung anderer Wahlkreise. Es ist klar, dass bei (1) eine Wählerstimme auch über die Güte des Erfolgs aller anderen Wähler aus dem Wahlgebiet G entscheidet. Bei (2) ist das aber nicht mehr gegeben. Daher ist die Frage zu stellen, ob im Rahmen von (2) PE hinsichtlich der Betrachtung des gesamten Wahlgebietes überhaupt noch sinnvoll oder /allein/ maßgebend ist. MfG Bobo |

Ratinger Linke
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| Veröffentlicht am Donnerstag, 21. Juli 2011 - 23:26 Uhr: | |
Der Proportionalitätsbegriff ist nicht vom Wahlsystem abhängig. Ein Wahlsystem, das keine Oberverteilung hat, verletzt halt die Erfolgswertgleichheit notwendigerweise. Die Frage ist nicht, worin dann der Proportionalitätsbegriff besteht, sondern ob der Eingriff in die Erfolgswertgleichheit aus irgendwelchen Gründen gerechtfertigt ist. |

Clovis Unregistrierter Gast
| Veröffentlicht am Freitag, 22. Juli 2011 - 16:40 Uhr: | |
Ratinger Linke, Sie sind wirklich ein Meister im sinnentstellenden Verfälschen durch Zitate. Das BVerfG hat im Urteil zum negativen Stimmgewicht keineswegs festgestellt, das Wahlsystem enthalte eine "Erstreckung des Verhältniswahlprinzips auf die gesamte Sitzverteilung ..." Es hat auch keineswegs etwas derartiges von einem zukünftigen Wahlsystem gefordert. Es ist lediglich ein Punkt in einer Aufzählung möglicher Optionen, für die sich der Gesetzgeber entscheiden kann. Gemeint ist damit wohl eine Ausgleichsmandateregel. Gleich als nächstes folgt übrigens in der Aufzählung eine Möglichkeit, die darin besteht, dass der Gesetzgeber "sich für eine andere Kombination [von Verhältnis- und Mehrheitswahl] entscheidet, wenn dabei die Gleichheit der Wahl im jeweiligen Teilwahlsystem gewahrt wird. Was allerdings richtig ist: Das BVerfG hat tatsächlich nicht so entschieden, wie Sie es gerne gehabt hätten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, Clovis |

Bobo Unregistrierter Gast
| Veröffentlicht am Dienstag, 26. Juli 2011 - 02:04 Uhr: | |
Ratinger Linke schrieb: > Der Proportionalitätsbegriff ist nicht vom Wahlsystem abhängig. Es geht mir aber um einen Begriff der "proportionalen Repräsentation" in diskreten Strukturen, also auch um die Frage: welche Sitzverteilung repräsentiert bei einer gegebenen Hausgröße eine Stimmverteilung proportional? Auch wenn in der Regel der "ideale" Proporz verletzt ist, kann man je nach Betrachtung gewisser Größen, die beim "idealen" Proporz im gleichen Verhältnis zueinander stehen, gewisse Verfahren entwickeln, die bzgl. solcher Größen Sitzverteilungen liefern, die als proportionale Repräsentation gelten. Wenn wir also innerhalb von diskreten Strukturen immer noch sinnvoll von einem Proporz sprechen wollen, dann also in der Weise, dass es etwa einen d'hondt-Proporz, einen Sainte-Lague-Proporz, einen Hill-Huntington-Proporz etc. gibt. Es ist doch gerade der Sinn solcher Analysen, eine geeignete proportionale Repräsentation in diskreten Strukturen zu finden. > Ein Wahlsystem, das keine Oberverteilung hat, verletzt halt die > Erfolgswertgleichheit notwendigerweise. Die Frage ist nicht, worin > dann der Proportionalitätsbegriff besteht, sondern ob der Eingriff in > die Erfolgswertgleichheit aus irgendwelchen Gründen gerechtfertigt > ist. Im System (2) werden in der "Oberverteilung" die Sitze anhand der Bevölkerungszahlen den einzelnen Wahlkreisen zugeteilt. Je nach dem welches Verfahren man nimmt, um gewisse Aspekte der "idealen" Proportionalität zu berücksichtigen, erhält jedes Mitglied der Bevölkerung (und damit auch der Wähler) einen mehr oder weniger gleichen Anteil an einem Sitz. (Globales Prinzip) Bei der Unterverteilung (lokales Prinzip) werden die Vertreter eines Wahlkreises ausschließlich durch die Wähler des jeweiligen Wahlkreises ausgewählt; die Souveränität ist hier auf lokaler Ebene zu betrachten. Die Erfolgschance einer Wählerstimme ist begrenzt auf seinen Wahlkreis, nur hier kann der Wähler überhaupt einen positiven Erfolgswert erzielen. Es macht also in der Tat keinen Sinn, Erfolgswerte von Wählern hinsichtlich der Auswahl ihrer jeweiligen Wahlkreisvertretung wahlkreisübergreifend mit anderen Wählern zu betrachten. Obiges Prinzip ist - extensional gesehen - dasselbe wie bei einer Mehrheitswahl in Einer-Wahlkreisen. Die Bevölkerungszahlen müssen dort "annähernd" gleich groß sein. Gewählt wird ein Vertreter des Wahlkreises. Dabei können sowohl global als auch lokal dieselben üblichen Verfahren genommen werden wie bei einer "Verhältniswahl". Leider habe ich vom BVG kaum Aussagen zur Mehrheitswahl gelesen. Absatz 97 in (*) http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ks20080213_2bvk000107.html habe ich nun mehrmals gelesen. Satz 2 in diesem Absatz könnte sich hinsichtlich der Wortwahl nur auf das lokale Prinzip beschränken, Satz 3 auf das globale Prinzip. Andererseits, wenn wir nun wieder (allgemeiner) (2) betrachten, dann haben wir hinsichtlich der Entscheidung über die Auswahl der Wahlkreisvertreter soviele Verhältniswahlen wie es Wahlkreise gibt. Wenn es mehr als einen Wahlkreis gibt, dann kann man, insgesamt gesehen, wohl kaum noch von einem Verhältniswahlsystem sprechen; der Wähler hat mit seiner Stimme nur einen Einfluss auf die Zusammensetzung der Vertretung seines Wahlkreises, wahlkreisfremde Wähler haben überhaupt keinen Einfluss auf diese Vertretung. Absatz 98 in (*) fordert aber hinsichtlich der Wahlgleichheit, dass jeder Wähler den gleichen Einfluss auf die Vertretung haben muss. Die Wählerstimmen eines Wahlkreises haben nur einen Einfluss auf die Zusammensetzung ihrer Wahlkreisvertretung. Insofern ist Wahlgleichheit nun wieder auf lokaler Ebene zu betrachten. Die Frage, die ich mir stelle, ist, ob (2) verfassungskonform ist. Offenbar ist das jedenfalls im speziellen Fall, dass es nur einen Wahlkreis gibt, der Fall. Und im "extremen" Fall von Einer-Wahlkreisen (also Mehrheitswahl) wird dieses vom BVG zumindest nicht in Frage gestellt. Ist (2) verfassungkonform, so könnte sich die Koalition doch noch überlegen, ob eine Verteilung der Sitze an die Länder anhand der Bevölkerungszahlen eine ernstzunehmende Option ist. Wenn man das System (2) für verfassungswidrig, aber eine Mehrheitswahl für verfassungskonform hält, dann würde mich das schon wundern. MfG Bobo |

Ratinger Linke
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| Veröffentlicht am Dienstag, 26. Juli 2011 - 23:23 Uhr: | |
@Clovis: Wo hab ich behauptet, "das Wahlsystem enthalte eine Erstreckung des Verhältniswahlprinzips auf die gesamte Sitzverteilung" (die sinnentstellende Kürzung ist von dir)? Die Frage war, wie das "unter Vorbehalt angemessener Gewichtung der Direktmandate" ausschauen soll, was das Bundesverfassungsgericht als Möglichkeit genannt hat und eben nicht als Beschreibung des gegenwärtigen Systems. Mit "angemessener Gewichtung" ist ja wohl ein stärkeres Gewicht gemeint und nicht ein niedrigeres. Ausgleichsmandate verringern jedenfalls das Gewicht der Direktmandate. @Bobo: Die Frage nach dem Sitzzuteilungsverfahren hat erstmal gar nichts mit dem grundlegenden Wahlsystem zu tun. Man muss schon die Kriterien, nach denen man ein Wahlsystem beurteilt, ändern, um u.U. zu einem anderen Ergebnis zu kommen. "Im System (2) werden in der "Oberverteilung" die Sitze anhand der Bevölkerungszahlen den einzelnen Wahlkreisen zugeteilt. Je nach dem welches Verfahren man nimmt, um gewisse Aspekte der "idealen" Proportionalität zu berücksichtigen, erhält jedes Mitglied der Bevölkerung (und damit auch der Wähler) einen mehr oder weniger gleichen Anteil an einem Sitz." Ja, aber das hat mit Wahlen nichts zu tun. Das Prinzip ist genauso erfüllt, wenn man die Sitze anderweitig besetzt. Es gibt Gründe, so vorzugehn, aber das geht eben auf Kosten der Wahlgleichheit, außer bei biproportionaler Verteilung. Wenn man auch nicht biproportional verteilen will, weil man z.B. auf eine exakte lokale Verteilung Wert legt, kann man als schwächeres Kriterium rein lokale Wahlgleichheit fordern, aber das ändert nichts daran, dass die Wahlgleichheit insgesamt stärker als nötig verletzt ist. Die Frage ist halt, ob man das rechtfertigen kann. Beim Bundestag sicher nicht ohne Weiteres, solang man ihn als unitarisches Gremium betrachtet. Wenn man das "globale Prinzip" auf Einerwahlkreise erstreckt, heißt das übrigens nicht, dass die besonders gleich groß sein müssten. Bei Sainte-Laguë reicht ein Rahmen von ±50 oder auch -33/+100 Prozent; bei Hill/Huntington sogar schon die Forderung, dass jeder Wahlkreis mindestens 1 Einwohner hat. Generell ist bei sehr kleinen Sitzzahlen die Konformität zu einem Sitzverteilungsverfahren allein noch kein Gütekriterium. Das gilt im Prinzip auch für die Sitzzahlen einer einzelnen Liste, aber da ist es ein Problem, das nicht so einfach lösbar ist. Ob getrennte Wahlgebiete verfassungskonform sind, hängt wohl von den Details und der jeweiligen Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts ab. Es hat jedenfalls gesagt, dass die Beeinträchtigungen gegenüber dem negativen Stimmengewicht nachrangig sein können, ohne erkannt zu haben, dass es sich auch hier um einen Eingriff in die Gleichheit der Wahl handelt. Jedenfalls spielt auch der Grad der Beeinträchtigung eine Rolle, soweit sie überhaupt zulässig ist. In Bremen (wo das Modell praktiziert wird) ist die Lage anders als auf kommunaler Ebene, wo schon die faktische Sperrwirkung in der Regel klar zur Verfassungswidrigkeit führt. |

Bobo Unregistrierter Gast
| Veröffentlicht am Donnerstag, 28. Juli 2011 - 01:58 Uhr: | |
Ratinger Linke schrieb: > Die Frage ist halt, ob man das rechtfertigen kann. Beim Bundestag > sicher nicht ohne Weiteres, solang man ihn als unitarisches Gremium > betrachtet. Das leutchtet mir nicht ein. Dann wäre auch eine reine Mehrheitswahl nicht verfassungskonform. > Ob getrennte Wahlgebiete verfassungskonform sind, hängt wohl von den > Details und der jeweiligen Zusammensetzung des > Bundesverfassungsgerichts ab. Es hat jedenfalls gesagt, dass die > Beeinträchtigungen gegenüber dem negativen Stimmengewicht nachrangig > sein können [...] Ich habe 'mal System (2) auf die Zweitstimmenergebnisse der BTW 2009 und die Bevölkerungszahlen (Stand: 31.03.2009) des Statistischen Bundesamts http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2009/11/PD09__417__12411,templateId=renderPrint.psml angewandt, wobei ich bei jeder Verteilung Sainte Lague zu Grunde gelegt habe. Danach ergibt sich folgende Sitzverteilung (anhand der Zweitstimmen) im Bundestag für die 6 Parteien, wobei in Klammern die tatsächlichen Ergebnisse der Oberverteilung der BTW 2009 stehen: CDU: 173 (173) SPD: 145 (146) FDP: 93 (93) Die Linke: 76 (76) Grüne: 69 (68) CSU: 42 (42) Die SPD bekäme einen Sitz weniger, die Grünen einen Sitz mehr als bei der der tatsächlichen Oberverteilung der BTW 2009. Die Anzahlen der Sitze der anderen Parteien bleiben unverändert. MfG Bobo |

Ratinger Linke
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| Veröffentlicht am Donnerstag, 28. Juli 2011 - 16:55 Uhr: | |
Beim Mehrheitswahlrecht gibts nicht viel zum Einleuchten. Bei den Bevölkerungszahlen müsste man welche nehmen, die spätestens bei der Feststellung des endgültigen Ergebnis bereits bekannt sind und die außerdem Ausländer nicht mitzählen. Mit den Zahlen von Ende 2007 ergibt sich CDU 174 (+1), SPD 145 (-1), FDP 91 (-2), Grüne 68 (±0), Linke 78 (+2), CSU 42 (±0). Insbesondere der Vorteil der Linken beruht dabei nicht nur auf Rundungszufällen (weshalb die Koalition das Modell ja auch nicht wollte). Bei den Bevökerungszahlen muss man grundsätzlich zwischen Aktualität und Zuverlässigkeit abwägen. Vorläufige Zahlen wären vielleicht auch schon für Ende 2008 beschaffbar gewesen; alternativ hätte man generell weniger sorgfältig zusammengestellte Zahlen vom Quartalsende (II oder III 2008) nehmen können. Praktisch hätte man vielleicht auch einfach die Zahlen der Wahlkreiseinteilung (Ende 2006) genommen (was aber für die Linke wegen systematischem Bevölkerungsverlust im Osten noch günstiger ist). Mit den endgültigen Zahlen von Ende 2008 hätte sich noch ein Sitz von der Linken (Sachsen) zu den Grünen (Berlin) verschoben; 2007 hat es keine Sitzverschiebungen gegeben. Zahlen zur deutschen Bevölkerung sind schwierig zu bekommen. Im bundesweiten und lokalen Genesis muss man Altersstufen und teils Geschlechter manuell addieren; außerdem sind die Daten teils inkomplett. Bei den Bundesländern bekommt man die Zahlen auch nicht überall und Quartalszahlen nur teilweise. Die Zahlen in den Berichten der Wahlkreiskommission weichen teilweise (geringfügig) ab. Eine Übersicht gibts hier: http://www.wahlrecht.de/doku/daten/ Der Unterschied zwischen Aufteilung nach Deutschen und gesamter Bevölkerung ist ziemlich erheblich, auch wenn es im Saldo für die Parteien meistens nicht viel ausmacht. Alle neuen Bundesländer bekommen nach gesamter Bevölkerung jeweils 1-2 Sitze weniger. Soweit Überhang möglich ist, ändert sich auch der. Bei getrennten Wahlgebieten hätte jedenfalls die SPD in Bremen sowie die CDU in Schleswig-Holstein und im Saarland eins mehr gehabt, dafür die CDU anderswo 2 weniger (bei Verteilung nach Deutschen in Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg, nach Gesamtbevölkerung beide in Baden-Württemberg). Wie gesagt ist aber die Beeinträchtigung der Erfolgswertgleichheit sehr viel größer, weil positive oder negative Restansprüche nicht mehr auf andere Landeslisten umgelegt werden können und schon die Gesamtsitze der Länder nicht der Wahlgleichheit entsprechen. Beim tatsächlichen Ergebnis beträgt die Abweichung der Erfolgswerte vom Ideal (14'669,703) 66,997 (RMSD; alles in milliardstel Sitzen pro Stimme, ohne Überhang und unberücksichtigte Wähler; zum Vergleich Hare/Niemeyer 67,315, D'Hondt 75,853). Bei getrennten Wahlgebieten (Sitzverteilung nach Deutschen Ende 2007) ist die Abweichung 1'181,792 (annähernd 18facher Wert). Dafür hat man halt die unbedingte lokale Zuordenbarkeit des Erfolgswerts. Wobei das Bundesverfassungsgericht vermutlich nicht so rechnen würde, sondern das Ergebnis nach bundesweitem Parteienproporz beurteilen würde, wozu es wohl wie üblich bundesweite rechnerische Vertretungsgewichte nach Augenschein heranziehn würde. |

Bobo Unregistrierter Gast
| Veröffentlicht am Dienstag, 02. August 2011 - 19:13 Uhr: | |
@Ratinger Linke: > Beim Mehrheitswahlrecht gibts nicht viel zum Einleuchten. Ja, sie ist so einfach zu verstehen. Und jeder Wähler sollte verstehen wie seine Stimme ausgewertet wird. Bei einer Verhältniswahl wäre ein Sitzzuteilungsverfahren nach Hare-Niemeyer noch intuitiv verstehbar. Aber ich glaube, dass bei Divisorverfahren viele Wähler nicht mehr wissen, wieso gerade dieses oder jenes Divisorverfahren genommen wird. Und wenn man dann noch ein Beispiel zeigt, bei dem die Quotenbedingung nicht erfüllt ist, dann sieht man schon zweifelnde Blicke (meine Erfahrung). Das bedeutet: Nicht nur die Nachprüfbarkeit eines Wahlergebnisses ist wichtig, sondern auch das Verständnis dafür, warum eine Stimmenverteilung so ausgewertet wird wie sie eben ausgewertet wird. In dieser Hinsicht fallen alle Verfahren wie z.B. Meek-Stv, Warren-Stv, etc. in Mehrmann-Wahlkreisen einfach durch. Manchmal bekommt man (den Unsinn) zu lesen, dass man auch einen Fernseher nutzt und nicht wissen müsse wie er funktioniert. Absurd. Ein Fernseher ist keine Wahl. Übrigens meinte ich, dass mir nicht einleuchtet, wieso System (2) mglw. nicht verfassungskonform sei, aber eine Mehrheitswahl schon. Zum Erfolgswert: 1. Das BVG sagt, dass der Grundsatz der Wahlgleichheit bei der Verhältniswahl (Prämisse) die Erfolgswertgleichheit fordere. 1.1. Annahme. Das BVG hatte folgendes Modell im Sinn. Auf einer Partition {A, B, C, ...}, deren Elemente Parteien oder Listen oder ähnliches (Gruppierungen von Personen) sind, werden Stimmen verteilt. Die Verteilung dieser Stimmen ist in eine Sitzverteilung bzgl. einer Hausgröße proporzerhaltend umzurechnen. (Dabei ist folgendes zu beachten: Das BVG muss hier keinen stringenten Formalismus im Sinn haben, sondern es muss nur die Intention des BVG einigermaßen richtig getroffen werden, und das kann durchaus in einem formalen Rahmen geschehen.) 2. Das BVG klammert bei einer Mehrheitswahl die Erfolgswahlgleichheit aus und sagt (im wesentlichen), dass dadurch die Wahlgleichheit nicht verletzt wäre. 2.1. Lokale Betrachtungsweise. Es ist klar, dass bei der Vergabe eines Sitzes nur ein Kandidat zum Zuge kommen kann. Man kann es deshalb so sehen, dass der Terminus "Verhältniswahl" hier sinnlos ist, obwohl man es durchaus formal so sehen kann (Einmann-Listen). Dennoch, jede Wählerstimme hat den "gleichen Einfluss auf die Sitzverteilung", nämlich in Form der Zählwertgleichheit. 2.2. Globale Betrachtungsweise. Ein Wähler hat nicht die Chance, einen Einfluss auf die gesamte Sitzverteilung (im Gremium) zu nehmen. Man könnte hier schon die Frage stellen, ob das den Grundsatz der Wahlgleichheit verletzt. Nehmen wir an, dass hier keine Verletzung vorliegt (das fällt wohl hinsichtlich der Äußerungen des BVG unter die Phrase "am Kreationsvorgang teilnehmen"), dann bleibt aus meiner Sicht nur die "Autonomie des Wahlkreises" (d.i. die Souveränität der Bevölkerung bzw., hinsichtlich der Wahl, der Wähler eines Wahlkreises) als Begründung dafür, dass eine Mehrheitswahl dem Wahlgleichheitsgrundsatz genügt (natürlich mit Zählwertgleichheit etc.). Aber ich möchte noch zu einem anderen Punkt kommen. Nehmen wir unser heutiges Wahlsystem. Otto lebt in Baden-Württemberg (BW), und Partei P tritt dort mit Landesliste L an. Otto mag P nicht, er mag Partei Q lieber, aber er mag Politiker Egon, der der Partei P angehört und auf L an erster Stelle steht, am liebsten. Egon tritt aber in keinem Wahlkreis (als Kandidat) an. Otto wählt L, weil er Egon im Bundestag sehen will. Nun werden alle Sitze, die L zugeteilt werden, durch Direktkandidaten besetzt. Egon kommt nicht in den Bundestag. Otto sagt sich, dass er keinen Erfolg mit seiner Stimme hatte. Schauen wir uns die Situation etwas genauer an. Otto hat die Präferenzliste (Egon, Q, P). Sein Erfolgswert hinsichtlich Egon ist gleich 0. Hinsichtlich P hat er einen positiven Erfolgswert erzielt, wenn P in den Bundestag kommt. Übrigens, wenn Otto mit dafür verantwortlich ist, dass für P negatives Stimmgewicht zum tragen kommt, dann hat Otto wenigstens einen kleinen Erfolg erzielt, da er mit seiner Stimme P schwächt und relativ dazu Q stärkt. Es ist ganz interessant, dass hier negatives Stimmgewicht mit dem (unterschwelligen) Wählerwillen (eines Wählers) durchaus harmoniert, also man /insofern/ nicht von einer Verfälschung sprechen kann. Dieser Sicht eines Wählers steht das Paradigma der Parteiendemokratie gegenüber. Das Erfolgswertkonzept ist dabei eigentlich irreführend. Obiges Beispiel zeigt, dass es hinsichtlich der Sicht eines Wählers nicht angemessen ist, wenn man als Grundentitäten nur Parteien wählt und nicht an Mandatsträger bindet. Andererseits genügt das Erfolgswertkonzept bei einer Verhältniswahl, bei der die Grundentitäten Parteien sind, allen Parteien (nicht unbedingt eines Wählers) (jedenfalls hinsichtlich "abstrakter" Sitze). Da nicht klar ist, welche unterschwelligen Präferenzen ein Wähler haben mag, kann das Erfolgswertkonzept nur eine formale Größe sein. Und ich glaube, dass das BVG dieses auch voll erkannt hat: Der Wählerwille ist hier (eben bzgl. eines Wahlsystems) die (formale) Information, die der Wähler mit seiner Stimme abgibt. Sowohl beim Erfolgswert als auch beim negativen Stimmgewicht spielt nur dieser Formalismus eine Rolle. Wenn das BVG vom Verfälschen des Wählerwillens sprich und sagt, dass der Erfolgswert invers bzw. negativ wird, dann bezieht sich das nunmal auf die faktische Information des Wählers. MfG Bobo |

Taugenichts
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| Veröffentlicht am Sonntag, 07. August 2011 - 21:30 Uhr: | |
Nach einer Veranstaltung mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion konnte ich ganz kurz mit Volker Kauder über die Wahlrechtsreform sprechen. Er räumte ein (was hier niemanden überraschen dürfte), dass der Koalitionsvorschlag das Problem des negativen Stimmgewichts nicht in jedem Falle beseitigt und dass die Union die Überhangmandate gern behalten möchte. Ich sagte Volker Kauder, dass Martin Fehndrich von wahlrecht.de ein Verfahren entwickelt hat, das eine Beibehaltung der Überhangmandate bei gleichzeitiger Umgehung des verfassungswidrigen negativen Stimmgewichts ermöglicht. (Vgl. auch den Beitrag von Bernhard Nowak vom 06. Juni 2011 hier im Forum.) Ich meinte außerdem, dass ein überparteilicher Konsens in der Wahlrechtsfrage wünschenswert wäre. Volker Kauder äußerte dazu, ein solcher sei von der SPD schon in der Großen Koalition (als es noch eine verfassungsändernde Mehrheit der Regierungsfraktionen gab) verhindert worden. Weitergehenden (von mir beispielhaft angeregten und insbesondere zur Erhöhung des Wählereinflusses auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments dienenden) Reformüberlegungen erteilte Kauder mit dem Hinweis, dass die Leute ein anderes Wahlsystem nicht verstehen würden, eine Absage. Wie auch immer, ich gehe davon aus, dass Volker Kauder den Fehndrich-Vorschlag nun zumindest prüfen lässt. |

Thomas Frings
Registriertes Mitglied
| Veröffentlicht am Sonntag, 07. August 2011 - 22:56 Uhr: | |
"Wie auch immer, ich gehe davon aus, dass Volker Kauder den Fehndrich-Vorschlag nun zumindest prüfen lässt." Das glaube ich nicht. Der hat auch sicher andere Sorgen. Das Thema Wahlrecht steht auf der Prioritätenliste der politischen Klasse weit unten. "dass die Leute ein anderes Wahlsystem nicht verstehen würden, eine Absage." Die verstehen auch das jetzige nicht. Es ist seit langem offensichtlich, dass die Union am liebsten gar nichts ändern will. |

Martin Fehndrich
Moderator
| Veröffentlicht am Sonntag, 07. August 2011 - 23:27 Uhr: | |
@Taugenichts "nicht in jedem Falle", eine schöne Umschreibung für eher mehr Fälle. Das ist übrigens kein Vorschlag, von dem ich möchte, daß er umgesetzt wird, sondern die minimal notwendige Änderung zur Beseitigung des negativen Stimmgewichts. Mit weniger Änderung löst man das Problem nicht. Rein praktischer Nachteil als Verfahren. Bei der System mit Ober- und Unterverteilung und dem Divisorverfahren mit Standardrundung wird man das Verfahren wahrscheinlich kaum ohne Rechenschritt beschreiben können, dem man das Herausrechnen negativer Stimmgewichte ansieht. Im kontinuierlichen Fall kann man es mit einer geschlossenen Formel darstellen. Vielleicht gibt es einen einfacheren Ansatz, der nur etwas schärfer ist. Wenn man den Absatz 2a des Gesetzentwurfs als Maßstab nimmt, sind die Anforderungen an Nachvollziehbarkeit auch nicht besonders groß. @Thomas Frings Die Details stehen unten auf der Prioritätenliste. Nicht die Grundsatzfrage zu den inzwischen wieder wünschenswerten Überhangmandaten. |

Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
| Veröffentlicht am Montag, 08. August 2011 - 01:38 Uhr: | |
Wollte die Union die Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl aus dem Grundgesetz streichen, oder für was sonst sollte die verfassungsändernde Mehrheit was bringen? Absicherung von getrennten Wahlgebieten und Überhang? Außerdem ist es eine seltsame Vorstellung von Konsens, wenn man offenbar davon ausgeht, dass ihn die Nichtregierungsparteien sowieso ablehnen und vom Rest einzig eine Seite am Scheitern schuld ist. Wenn es wirklich ein Konsens ist, hat man die verfassungsändernde Mehrheit sowieso. Dass die Union in der letzten Wahlperiode irgendwas zur Lösung des Problems unternommen hätte, ist aber ohnehin nicht glaubhaft. Und bei ernsthaftem Interesse an einer zumindest formal optimalen Lösung, die die Union weiter maximal begünstigt, wären sie selber auf eine der mehreren Möglichkeiten gestoßen. Allerdings haben die alle den Nachteil, dass nicht auch noch die FDP begünstigt wird, womit schon die eigene Mehrheit dafür fraglich ist. |

Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
| Veröffentlicht am Montag, 08. August 2011 - 06:39 Uhr: | |
@Bobo: Die einfachen Divisorverfahren (Adams, Sainte-Laguë, D'Hondt) sind auch nicht komplizierter zu verstehn als Hare/Niemeyer. Bei Sainte-Laguë heißt es einfach: Rechnerische Sitzzahl standardrunden; falls nicht die richtige Sitzzahl rauskommt (eher selten), alle Ansprüche proportional erhöhen oder erniedrigen, so dass es passt. Es sind nur die Algorithmen zur Ermittlung des richtigen Faktors, die eine Komplexität vortäuschen, die im Prinzip nicht existiert. Für das Verständnis der Funktionsweise (und auch die Überprüfbarkeit) sind sie irrelevant. Wenn man die Quotenbedingung erfüllen will, muss man z.B. auch bei 10 Parteien mit je 1 Stimme und 1 Partei mit 10 Stimmen letzterer bei 2 Sitzen nur einen geben und den anderen unter den anderen Parteien verlosen. Da kann man auch Zweifel haben, ob das die optimale Lösung ist. Dass 151:99:50 2:1:0 verteilt wird, 152:109:49 oder 151:99:50:4 aber 1:1:1, ist auch nicht besonders intuitiv, aber solche Verteilungen sind unmittelbare Folge der Quotenbedingung. Und bei Hare/Niemeyer hat man dann auch noch Probleme der Art, dass 135:125:40 bei 3 Sitzen 1:1:1, bei 4 Sitzen aber 2:2:0 verteilt wird. Außerdem sind Divisorverfahren nicht mit der Quotenbedingung inkompatibel. Das ist nur dann der Fall, wenn man gleichzeitig auch noch eine exakte Erfüllung der Sollsitzzahl fordert, wofür es in den meisten Fällen gar keinen vernünftigen Grund gibt. Einfach die Idealansprüche ungeachtet der sich ergebenden Summe standardzurunden, ist auch ein Divisorverfahren (nämlich Sainte-Laguë), ist sicher einfacher als Hare/Niemeyer und erfüllt die Quotenbedingung. STV ist vom Grundprinzip her auch nicht kompliziert und die Motivation dafür sogar ausgesprochen einleuchtend. Bloß hat man halt im Detail verschiedene Möglichkeiten, bei denen die beste Wahl nicht von vornherein klar ist. Dadurch, dass man bei der Verhältniswahl z.B. Hare/Niemeyer nimmt, hat man die Frage, warum man so rechnet, ja auch noch nicht geklärt. Wenn man es um der vermeintlichen Einfachkeit willen nimmt, gibt es eh keine sinnvolle Antwort darauf, sondern es ist dann reiner Selbstzweck. Bei der Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen kann man analog genauso die Frage stellen, warum die Wahlkreiseinteilung so ist, wie sie ist. Und darauf wird es in den meisten Fällen keine befriedigende Antwort geben, weil es halt mehr oder weniger Zufall ist, wenn nicht absichtlich manipuliert worden ist oder man auf gleiche Größen überhaupt keinen Wert legt (was aber auch zu begründen wäre). Meine Antwort war durchaus auf die Verfassungsmäßigkeit bezogen: Auf die Frage, warum die Mehrheitswahl verfassungskonform sein soll, mehr oder weniger gezielt mehrheitsbildende andere Wahlsysteme aber nicht, gibts keine einleuchtende Antwort. Zählwertgleichheit bedeutet keinen "gleichen Einfluss auf die Sitzverteilung", der nichtmal bei reiner Verhältniswahl mit hoher Sitzzahl wirklich gegeben ist. Es ist höchstens ein potenziell gleicher Einfluss, nämlich dann, wenn man keinerlei Informationen über die Präferenzen der anderen Wähler hat, was aber völlig wirklichkeitsfremd ist. Im Prinzip gilt das auch für die Verhältniswahl, aber bei größeren Sitzzahlen reichen die vorhandenen Informationen in der Regel nicht aus. Relevant ist es aber z.B. bei der Wahl kleiner Gremien im Bundestag oder beim Wahlrechtsvorschlag der Koalition für Wähler mancher kleinen Listen in kleinen Ländern, wo schon vorher zuverlässig abschätzbar sein kann, dass die Stimme nichts bewirken wird. Bei der Erfolgswertbetrachtung kann man nur Sachen betrachten, die tatsächlich zur Wahl stehn. Im Beispiel steht Egon nicht zur Wahl, sondern P als Gesamtheit (auch wenn irreführenderweise formal L gewählt wird). Der subjektive Erfolgswert ist auch für Wähler schlecht, die versehentlich das Kreuz an der verkehrten Stelle machen oder auch nur ungültig wählen, ohne dass man das (in der Regel) dem Wahlsystem anlasten könnte. Davon wird es aber nicht zum reinen Formalismus. Ob der Wähler lieber was Anderes, als zur Wahl steht, wählen würde, ist eine andere Frage. Wenn es gemischte Präferenzlisten aus Personen und Parteien sein sollen, müsste man halt die zur Wahl stellen und definieren, unter welchen Bedingungen welche Positionen aus der Präferenzliste zum Zug kommen sollen und/oder welches Gewicht die Positionen haben sollen. Dann kann man damit die jeweiligen Verfahren beurteilen. Beim jetzigen System kommt ausschließlich die erste wählbare Präferenz zum Zug, mit Ausnahme von Einzelbewerbern, deren Wähler eine zusätzliche Zweitpräferenz bekommen. Soweit Überhang auftreten kann, scheitert die Beurteilung allerdings daran, dass nicht bekannt ist, was gewählt wird (an der Überhanggrenze wechselt der Modus von Parteien auf Personen). Berücksichtigt werden auf jeden Fall nur die formal korrekt angegebenen Präferenzen und nicht das, was der Wähler will. Das ist eigentlich nicht besonders bemerkenswert; die "unterschwelligen Präferenzen" von Nichtwählern werden ja auch nicht berücksichtigt. Dadurch wird es aber kein beliebig austauschbares Konzept. |

Holger81 Unregistrierter Gast
| Veröffentlicht am Montag, 08. August 2011 - 15:29 Uhr: | |
@Ratinger Linke: >"Allerdings haben die alle den Nachteil, dass nicht auch noch die FDP begünstigt wird, womit schon die eigene Mehrheit dafür fraglich ist." Ich kann mir ehrlich gesagt kein halbwegs vernünftiges Wahlrecht vorstellen, das speziell die FDP begünstigt (außer einer Senkung der 5%-Hürde - aber das würde sich die FDP wohl kaum trauen zu fordern). Die kleineren Parteien überproportional zu bevorteilen, wie beim aktuellen Koalitionsentwurf geplant, widerspricht m.M.n. klar dem Prinzip einer Verhältniswahl, und würde langfristig - im absurden Gegensatz zur 5%-Hürde - Parteienzersplitterung fördern. Und für die Koalition als Ganze ist es doch offensichtlich sinnvoll, möglichst viele Überhangmandate zu erhalten (wenn man davon ausgeht, dass die CDU weiterhin am meisten überhängt). Das würde implizit auch der FDP nutzen, da sie auf Zweitstimmen von Unionswählern in allen Überhangländern hoffen kann. |

Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
| Veröffentlicht am Dienstag, 09. August 2011 - 07:51 Uhr: | |
Für eine Begünstigung der kleinen Parteien gibts schon einen Grund, wenn man nämlich die relativen Erfolgswerte optimieren will und deshalb Hill/Huntington nimmt. Dass das mit Verzerrungsfreiheit inkompatibel ist, ist eigentlich der Hauptgrund, der für die absoluten Erfolgswerte spricht. Wobei der Unterschied zwischen Sainte-Laguë und Hill/Huntington minimal ist, solang es (wegen Sperrklausel) keine ganz kleinen Parteien gibt und die Sitzzahl nicht zu klein ist. Beim Bundestag führen beide Verfahren meistens zum gleichen Ergebnis. Dass die FDP die Hauptprofiteurin vom Unionsüberhang sein müsste, ist schon richtig, aber die Frage ist, ob sie es überhaupt weiß. Sie scheint ja zumindest wenig explizte Werbung damit zu machen, selbst 2009, wo das negative Stimmengewicht vielen Wählern im Prinzip präsent war. Dass die Union 2013 am stärksten überhängt, ist zwar wahrscheinlich, aber nicht sicher. Der FDP bringen die eigentlichen Überhangmandate aber nur dann was, wenn sie erstens die Fortführung der jetzigen Koalition ermöglichen und zweitens die Union das auch will. Im übelsten Fall verliert sie dadurch den Fraktionsstatus (ok, das würde man dann vermutlich ändern). In der Opposition oder auch bei klarer Mehrheit bringen ihr die Überhangmandate der Union jedenfalls nichts. |

Holger81 Unregistrierter Gast
| Veröffentlicht am Dienstag, 09. August 2011 - 15:21 Uhr: | |
Ja, Hill-Huntington wäre eine Möglichkeit. Aber erstens begünstigt das eben auch die Parteienzersplitterung (und wäre damit m.E. in Kombination mit der dazu gegensätzlichen 5%-Hürde verfassungswidrig). Und zum Anderen könnte man damit in Teufels Küche kommen, wenn Parteien nationaler Minderheiten zu Bundestagswahlen antreten: denen reichte dann nämlich eine einzige Stimme, um einen Sitz im Bundestag zu bekommen. Wenn also z.B. der SSW sich in 100 Parteien aufspaltet und diese alle antreten lässt, wäre er mit nur 100 passend verteilten Wählerstimmen mit 100 Sitzen im Bundestag vertreten. Es stimmt, dass die FDP aus welchen Gründen auch immer kaum um "wertlose" Unions-Zweitstimmen wirbt. Dabei hätte sie 2009, wenn sie alle diese Stimmen bekommen hätte, ihr sowieso schon starkes Ergebnis nochmal verdoppeln können. Natürlich bringt der FDP eine starke Union nur etwas, wenn die Koalition fortgesetzt wird. Aber da die FDP ja zurzeit keine andere realistische Machtoption hat, ist es trotzdem für sie sinnvoll, die Union zu stärken. Und allein dass es vor der Wahl die Chance auf eine Fortführung von Schwarz-Gelb gibt, würde ihr ja schon ermöglichen, um taktische Zweitstimmen zu werben. |

Bobo Unregistrierter Gast
| Veröffentlicht am Dienstag, 09. August 2011 - 18:44 Uhr: | |
Ratinger Linke schrieb: > Außerdem sind Divisorverfahren nicht mit der Quotenbedingung > inkompatibel. Doch, das sind sie. Das ist ein Ergebnis von Balinski und Young. > Das ist nur dann der Fall, wenn man gleichzeitig auch noch eine exakte > Erfüllung der Sollsitzzahl fordert [...] > Einfach die Idealansprüche ungeachtet der sich ergebenden Summe > standardzurunden, ist auch ein Divisorverfahren (nämlich > Sainte-Laguë), ist sicher einfacher als Hare/Niemeyer und erfüllt die > Quotenbedingung. Das ist so nicht richtig: Gegen-Beispiel: 1. Zunächst: Wenn man den Terminus "Idealanspruch" gebraucht, wird eine Hausgröße vorausgesetzt, also wenigstens eine "nominale" Anzahl von Sitzen, die zu verteilen sind. Der Idealanspruch ist die Quote bzgl. dieser Hausgröße. 2. Seien A, B, C, D, E, F Parteien, die jeweils folgende Stimmzahlen bekommen haben: A 10300 B 58970 C 24033 D 10299 E 10298 F 10297 Die nominale Sitzzahl sei 18. Dann ergeben sich die Idealansprüche auf 2 Nachkommastellen wie folgt: A 1,49 B 8,54 C 3,48 D 1,49 E 1,49 F 1,49 Folglich ergibt sich mit Standardrundung die tatsächliche Anzahl der Sitze für die Parteien zu: A 1 B 9 C 3 D 1 E 1 F 1 Die Summe aller Sitze ist 16. Diese Verteilung ergibt sich auch, wenn man Sainte Lague (SL) auf eine Hausgröße von 16 Sitzen anwendet. ABER: Die Idealansprüche ändern sich bei dieser Hausgröße im Vergleich zu der obigen nominalen (totalen) Sitzanzahl von 18 Sitzen: A 1 1,32 B 9 7,59 C 3 3,09 D 1 1,32 E 1 1,32 F 1 1,32 Und das zeigt, dass die Quotenbedingung verletzt ist (sofern mein Progrämmsche das alles "richtig gerechnet" hat.) [] Ich glaube, sie machen hier den Fehler, die Veränderung der Idealansprüche in Ihre Betrachtungsweise nicht mit einzubeziehen. Aber unabhängig von obigem Beispiel: es gibt immer eine geeignete Hausgröße, so dass eine Verteilung nach SL der Quotenbedingung genügt, was aber (mehr oder weniger) trivial ist. > STV ist vom Grundprinzip her auch nicht kompliziert und die Motivation > dafür sogar ausgesprochen einleuchtend. Bloß hat man halt im Detail > verschiedene Möglichkeiten, bei denen die beste Wahl nicht von > vornherein klar ist. Dadurch, dass man bei der Verhältniswahl z.B. > Hare/Niemeyer nimmt, hat man die Frage, /warum/ man so rechnet, ja auch > noch nicht geklärt. Wenn man es um der vermeintlichen Einfachkeit > willen nimmt, gibt es eh keine sinnvolle Antwort darauf, sondern es > ist dann reiner Selbstzweck. Es geht darum, dass der Wähler ein Wahlsystem versteht, und das nicht nur in operationalistischer Hinsicht. Ein Verfahren wie Hare/Niemeyer, das die Quotenbedingung erfüllt, genügt der Intuition, wenn es um diskrete Strukturen geht. STV in Mehrmann-Wahlkreisen ist schrecklich. IRV hingegen ist IMHO noch einfach zu verstehen. Das Problem bei STV in Mehrmann-Wahlkreisen ist, dass bestimmte Verfahren wie Meek und Warren nicht evident sind. > Zählwertgleichheit bedeutet keinen "gleichen Einfluss auf die > Sitzverteilung", der nichtmal bei reiner Verhältniswahl mit hoher > Sitzzahl wirklich gegeben ist. Zählwertgleichheit bedeutet dann keinen gleichen Einfluss auf die Sitzverteilung, wenn dieses Prinzip durch andere Mechanismen untergraben wird. > Bei der Erfolgswertbetrachtung kann man nur Sachen betrachten, die > tatsächlich zur Wahl stehn. Im Beispiel steht Egon nicht zur Wahl, > sondern P als Gesamtheit. Wie bitte? Abgeordnete werden gewählt! Natürlich steht Egon (wie alle Kandidaten, ob in Wahlkreisen oder Landeslisten) zur Wahl, auch wenn er "nur" auf einer Landesliste steht. (Wenn man nach Ihrer Meinung geht, dann erübrigt es sich auch bei unserem heutigen Wahlsystem, dass man den ersten Kandidaten der Landeslisten auf dem Wahlzettel aufführt; man sollte dann konsequent sein und nur die Parteien angeben.) Otto kann leider nicht anders wählen, wenn er Egon im Bundestag sehen will. (Das ist nicht /ganz/ richtig: Otto könnte seine Erststimme einm aussichtsreichen Kandidaten einer anderen Partei als P geben.) > [...] > Der subjektive Erfolgswert ist auch für Wähler schlecht, die > versehentlich das Kreuz an der verkehrten Stelle machen oder auch nur > ungültig wählen, ohne dass man das (in der Regel) dem Wahlsystem > anlasten könnte. Naja, vielleicht hat ein Wähler auch seine Brille vergessen. Aber abgesehen davon, nur der subjektive Erfolg ist ein Erfolgwert, wenn man ihn "irgendwie" messen will. Schön ist es, wenn der subjektive Erfolg mit dem "objektiven" Erfolgswert zusammenfällt. > Berücksichtigt werden auf jeden Fall nur die formal korrekt > angegebenen Präferenzen und nicht das, was der Wähler will. Das ist > eigentlich nicht besonders bemerkenswert; die "unterschwelligen > Präferenzen" von Nichtwählern werden ja auch nicht berücksichtigt. > Dadurch wird es aber kein beliebig austauschbares Konzept. Das Erfolgswertkonzept ist also formal auf ein Wahlsystem bezogen. Es wird - wie mein Beispiel auch zeigt - nicht unbedingt einem Wähler gerecht. MfG Bobo |

Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
| Veröffentlicht am Dienstag, 09. August 2011 - 22:32 Uhr: | |
@Holger81: Das Problem mit ganz kleinen Parteien kann man dadurch lösen, dass man die Hürde für die Zulassung zur Wahl so hoch legt, dass sie typischerweise nur relevante Parteien überwinden. Gerade bei größeren Gesamtsitzzahlen ist das ohnehin sinnvoll, um die starken Schwankungen der Erfolgswerte im unteren Bereich zu vermeiden. Die Frage ist allerdings, ob das das Bundesverfassungsgericht mitmacht. Wenn man Alternativstimmen einführt, ist auch eine (kleine) Sperrklausel für Minderheitenparteien (und auf kommunaler Ebene) eine sinnvolle Option. Die ganz extremen Fälle werden aber schon von den bestehenden Zulassungshürden verhindert (selbst der SSW ist noch zu klein, um davon befreit zu sein, wobei die momentan 2000 Unterschriften natürlich keine ernsthafte Hürde für ihn sind). @Bobo: Die Voraussetzung für das Ergebnis von Balinski und Young ist, dass sie als Sitzzuteilungsverfahren nur das definieren, was die vorgegebene Sitzzahl exakt erfüllt. Das ist aber eine starke Einschränkung; auch praktisch erfüllen viele Systeme diese Anforderung nicht (das Bundestagssystem erst aus sekundären Gründen, aber z.B. die Reichstagswahlen schon vom Grundsystem her nicht). Wenn man variable Gesamtsitzzahlen zulässt, stellt sich natürlich die Frage, was man dann als Quotenbedingung definiert. Dass sie bezüglich der sich tatsächlich ergebenden Gesamtsitzzahl weiter verletzt sein kann, ist schon richtig, aber ich bezweifle, dass die, für die eine Verletzung der Quotenbedingung ein Problem ist, so rechnen würden. Außerdem braucht man dafür schon relativ extreme Beispiele, weil die Quotenbedingung bezüglich der Ausgangssitzzahl sogar viel strenger erfüllt ist, indem die maximale Abweichung nicht fast einen ganzen Sitz, sondern nur einen halben betragen kann. Wenn man Wahlsysteme nach der Intuition beurteilt, kommt man damit im Allgemeinen nicht zu eindeutigen Ergebnissen. Es mag zwar sein, dass das Grundsystem von Hare/Niemeyer heute für die meisten Leute einleuchtend ist, aber früher, wo man von der Prämisse ausgegangen ist, dass nur ganze Mandate zugeteilt werden können, war eher das Gegenteil der Fall und die intuitive Methode D'Hondt. Jedenfalls werden nicht alle Leute zum gleichen Ergebnis kommen. Außerdem sind die konkreten Ergebnisse durchaus nicht einleuchtend (siehe oben), und das gilt für sämtliche Verfahren. Ein Beispiel für ein intuitives System sind die Volksentscheide mit Stichfrage. Bei 3 Möglichkeiten (Status quo, A und B) ist das faktisch ein Condorcetsystem, bei dem gewinnt, wer die Stichfrage verloren hat, wenn es keinen Condorcetsieger gibt. Das ließe sich mit etwas Überlegung eindeutig besser regeln. Was bei entsprechenden Situationen in den Parlamenten verwendet wird, ist noch schlimmer; da hängt das Ergebnis oft schlicht von der Willkür des Präsidenten ab. Im Konfliktfall zwischen Intuition und objektiv wünschenswerten Eigenschaften halt ich aber die Intuition sowieso für nachrangig. Wenn man diese Eigenschaften entsprechend vermittelt, dürfte das auch für die allermeisten Wähler gar kein Problem sein. Ein breites Bedürfnis für Nachvollziehbarkeit gibts wohl eh nicht. Bei Steuersätzen interessiert z.B. auch mehr, was letztlich zu zahlen ist, als die konkrete Berechnung. Praktisch liegt die eigentliche Komplexität bei vielen Wahlsystemen ohnehin nicht im Sitzzuteilungsverfahren, sondern anderswo (Sperrklausel, Unterverteilungen, Überhang, Listenverbindungen, Teilnahmebedingungen &c.). Mit der Zweitstimme werden bei Bundestagswahlen nur Parteien gewählt. Dein Beispiel zeigt ja, dass auf eine formal gewählte Liste kein einziger Sitz entfallen kann, auch wenn ihr nach abgegebenen Stimmen sehr viele zustehn. Durch die Oberverteilung werden auch Stimmenanteile zu anderen Landeslisten transferiert. Dass primär Parteien gewählt werden, ist auch nicht nur eine Nebenwirkung, sondern Grundprinzip. Auch wenn praktisch viele Wahlkreiskandidaten auch auf der zugehörigen Landesliste erscheinen, kann die Liste im Prinzip völlig augetauscht werden, und zwar auch ausschließlich durch Wähler anderer Parteien. Die Wähler der Liste bekommen dann völlig andere Leute als die, die auf der Liste gestanden haben. Dass die Stimmzettel irreführend sind, ist völlig richtig. "Otto könnte seine Erststimme einm aussichtsreichen Kandidaten einer anderen Partei als P geben." Richtig, das ist das eigentliche Prinzip der Personalisierung bei Bundestagswahlen (und vergleichbaren Zweistimmensystemen). Es wird bloß von den meisten Wählern nicht durchschaut. Wenn das Erfolgswertkonzept bei entsprechend optimalem Wahlsystem einem Wähler nicht gerecht wird, liegt das im Verantwortungsbereich des Wählers und nicht in der Natur der Sache. Besonders problematisch ist in dem Zusammenhang aber alles, was den Wähler in die Irre führt. Rein subjektive Erfolgswerte sind sowieso nicht exakt messbar. |

Arno Nymus
Registriertes Mitglied
| Veröffentlicht am Donnerstag, 11. August 2011 - 02:34 Uhr: | |
Bzgl. Egon und Otto: In Bezug auf die Erfolgswertgleichheit muss man differenzieren. Grundlegend sollte man bei einem Wahlsystem unterscheiden zwischen 1. Stimmmodellierung: Modellierung der Stimmabgabe, d.h. wie wird der abtrakte "Wählerwille" formalisiert, also in eine formale Stimme überführt. 2. Auswertungsverfahren: Verfahren zur Umsetzung der Stimmzahlen in Sitzzahlen bzw. der Stimmen in ein Ergebnis. (3. Verzerrungen: Inwiefern verzerrt das Auswertungsverfahren die "ehrliche" Stimmabgabe, d.h. inwieweit wird taktisches Wählen ermöglicht). Formal kann der Erfolgswert letztlich nur in 2. untersucht werden, d.h. wie "korrekt" setze ich die abgegebenen formalisierten Stimmen in ein Ergebnis um. Dieses führt Ratinger Linke entsprechend aus. In dem vorliegenden Fall ist eine Präferenz für Egon in der Stimmmodellierung nicht (direkt) vorgesehen. Von einem "Erfolgswert" für den Wähler, der Egon wählen möchte, kann man entsprechend nicht reden - ebenso wenig wie man von einem Erfolgswert der Präferenz "Die Steuern erhöhen!" reden kann. Beide Präferenzen werden im ersten Schritt nicht erfasst und kommen daher gar nicht erst im zweiten Schritt an. Daraus kann man aber natürlich schließen, dass die Stimmmodelierung des aktuellen Systems offenkundig unzureichend ist. Wie Sie ausführen, ist die einzige Möglichkeit, doch positiv auf eine Wahl Egons hinzuarbeiten, zu versuchen, die Hintertür über Punkt 3 zu nehmen, d.h. weil das Wahlsystem in Punkt 1 unzureichend ist, es aber zusätzlich in Punkt 2 deutliche Schwächen aufweist, ist es teilweise möglich, dergestalt "taktisch" zu wählen, dass man eine Wahl Egons doch begünstigt, indem man bei der Stimmabgabe nicht seine tatsächliche Präferenz angibt. Im Allgemeinen ist ein Wahlsystem, bei dem man über die Hintertür (Punkt 3.) seine Wahlabsicht umsetzen muss, nicht erstrebenswert. Wie Sie vorher zu einem anderen Teilaspekt bemerkt haben, ist die Verständlichkeit eines Wahlsystems sehr wichtig. Entsprechend liegt der Mangel hier bereits in der Stimmmodellierung und dieser kann nicht durch unintuitive Hintertürchen ausgebessert werden. Oder kurzum: Ottos Problem mit diesem Wahlrecht ist kein geringer Erfolgswert (in der Auswertung, 2.), sondern dass seine Präferenz bereits bei der Stimmabgabe (1.) komplett unter den Tisch fällt und daher in der Auswertung keine Berücksichtigung finden kann. Holger81 schrieb Es stimmt, dass die FDP aus welchen Gründen auch immer kaum um "wertlose" Unions-Zweitstimmen wirbt. Dabei hätte sie 2009, wenn sie alle diese Stimmen bekommen hätte, ihr sowieso schon starkes Ergebnis nochmal verdoppeln können. Wenn man allein die Zweitstimmen aller gewählten Direktkandidaten unberücksichtigt lässt, verbleibt der FDP 2009 etwa die selbe Zweitstimmen-Anzahl wie den Grünen. Die 3,9% Unterschied (die immerhin in 25 Sitze umgesetzt wurden), sind also allein auf Stimmensplitting der Wähler erfolgreicher Unions-Direktkandidaten zurückzuführen. Wohlgemerkt ist das Stimmensplitting nicht erfolgreicher Direktkandidaten dabei noch gar nicht berücksichtigt. Ohne die Stimmen aus dem Stimmensplitting hätte die FDP also - auch 2009 bei ihrer Rekordwahl - einen geringeren Zweitstimmenanteil als die Grünen erreicht. Man kann nur spekulieren, welche Anteile der Stimmensplitter Unions-Wähler sind, welche ihre Zweitstimme der FDP geben, und welche FDP-Wähler sind, die ihre Erststimme der Union geben. Angesichts der Tatsache, dass die FDP bisher noch nie auch nur annähernd eine so große Unterstützerschaft hatte, wie sie 2009 Zweitstimmen erhalten hat, würde ich aber davon ausgehen, dass ein nicht unwesentlicher Teil Unions-Wähler waren. Daher denke ich, dass Sie durchaus recht haben, dass die FDP indirekt von den Überhangmandaten profitiert, nämlich durch die Stimmensplitter der Union. Wenn man die 4% an Zweitstimmen, welche die FDP aktuell in Umfragen erhält, als Prämisse nimmt, könnte man bei einem Wahlsystem mit Stimmensplitting dennoch davon ausgehen, dass die FDP relativ sicher die 5%-Hürde überspringen würde (das würde oben unter 3. fallen). Bei einem fairen Wahlsystem müsste die FDP hingegen sehr um das Überspringen der 5%-Hürde bangen. (Beitrag nachträglich am 11., August. 2011 von Arno Nymus editiert) |
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